Eigenverantwortung und nun? – Training in Selbst- und Zeitmanagement
26. September 2017 von Lucia Stall
„Flache Hierarchien“, „agiles Arbeiten“, „Selbstorganisation“ – dies sind Schlagworte, die nicht nur in unseren Blogartikeln* sondern auch in unseren Kundenanfragen vermehrt auftauchen. Nicht verwunderlich – in Zeiten, in denen der Wettbewerb um gutes Personal wächst und Bestseller wie Laloux’s „Reinventing Organisations“ in aller Munde sind. Dabei ist die „hohe Eigenverantwortung“ eine Kompetenz, die von HR und Führungskräften immer häufiger verlangt wird – erkennbar beispielsweise am Anstieg des Wortes in Stellenbeschreibungen.
Aber was genau bedeutet diese Eigenverantwortung eigentlich? Als Eigenverantwortung oder Selbstverantwortung bezeichnet man die Bereitschaft und die Pflicht, für das eigene Handeln Verantwortung zu übernehmen – d.h., auch die Konsequenzen des eigenen Handelns zu tragen. Doch was macht es mit den einzelnen Mitarbeitenden, wenn er oder sie plötzlich mit mehr Eigenverantwortung umgehen darf, soll oder muss?
Diese Erfahrung hat das Team des Traglinge e.V. gemacht, mit denen wir seit Anfang des Jahres im Austausch stehen. Bei den Traglingen handelt es sich um ein 14-köpfiges Team aus Kinderkrankenschwestern, einer Kinderärztin, einer Sozialpädagogin und einer Theatertherapeutin sowie Ehrenamtlichen. Gemeinsam begleitet das Team Familien mit Frühgeborenen auf ihrem Weg von oft langer intensivmedizinischer Behandlung aus der Klinik nach Hause. Dabei geht es insbesondere um Hilfe bei der Durchsetzung von sozialrechtlichen Ansprüchen und um die Organisation eines Helfer*innennetzwerks aus Hilfsmittelversorger*innen, Spezialärzt*innen, Therapeut*innen, damit ein Leben zu Hause mit schwerer Krankheit gelingt.
Das Team – mit hoch intrinsisch motivierten Mitarbeitenden – hat vor etwa einem Jahr die Eigenverantwortung der einzelnen Mitarbeitenden stark erhöht: Während die Arbeit in den einzelnen Familien damals noch zentral gesteuert wurde, übernehmen jetzt die Krankenschwestern die gesamte Verantwortung für die einzelnen Familien. Das heißt konkret: Sie entscheiden eigenständig über die Reihenfolge und Durchführung der einzelnen Aufgaben (Termine bei Ämtern, zu kontaktierende Personen, etc). Ziel war es, den manchmal bedrückenden Arbeitsalltag flexibler gestalten und diesen somit mehr an die eigene Lebenssituation anpassen zu können.
Die Krankenschwestern der Tragline sind zwar mit dieser neuen Arbeitsweise zufrieden, es wurde jedoch schnell deutlich, dass diese Entscheidungsfreiheit auch neue Herausforderungen mit sich bringt: Insbesondere die Gefahren, sich zu übernehmen und durch zu viele Überstunden den Blick auf sich selbst zu verlieren, wurden gesehen. Gemeinsam mit denkmodell entschieden sich die Traglinge daher ein Training zu Selbst- und Zeitmanagement durchzuführen.
Der Fokus des Trainings lag zunächst einmal auf den Teilnehmerinnen und ihrem „Selbst“ – d.h., es ging um die Beantwortung der Frage „Wir ticke ich eigentlich?“. Mit einem Blick auf die Inneren Antreiber (einer Methode, die hilft innere Glaubenssätze zu identifizieren), wurden innere Glaubenssätze wie z.B. “Sei stark!” oder “Sei perfekt!” identifiziert und daran anschließend wurde die Fragestellung, wie diese Glaubssätze sinnvoll genutzt werden können – ohne von ihnen bestimmt zu werden, gemeinsam diskutiert.
Nach diesem ersten Schritt ging es dann im Weiteren um die Frage „Wie kann ich mich also selbst führen und was muss ich dabei beachten?“. Nach einem Blick auf Tipps und Tricks des Zeitmanagements (z.B. Eisenhower Matrix siehe Bild rechts) lag der Fokus auf dem Thema Kommunikation. Hier wurde auf die Frage: „Wie schaffe ich es, Grenzen zu setzen, ohne dabei mein Gegenüber zu verletzen?“ diskutiert. Die einzelnen Teammitglieder stellten dabei fest, dass sie ausgesprochen oft auf dem sogenannten „Appell-Ohr” hören – dabei nimmt der*die Empfänger*in einer Nachricht diese meistens als Aufforderung zum Tun und Handeln wahr (ein Beispiel: die Nachricht „Was essen wir heute?” wird als „Kochst du bitte endlich?” verstanden – ohne das dies von der*dem Sender*in impliziert war).
Bei allen Methoden, Tipps und Tricks wurde wieder einmal deutlich, dass es DAS Erfolgsrezept zum Selbstmanagement nicht gibt und es gilt, dieses für sich individuell zu identifizieren.
Unser Fazit: Bei allen positiven Auswirkungen von hoher Eigenverantwortung, dürfen die neuen Anforderungen an jede*n einzelne*n Mitarbeitenden nicht unterschätzt werden. Es braucht neue Kompetenzen, neue Erfahrungen und neuen Austausch zwischen den Mitarbeitenden. Unserer Erfahrung nach sind wichtige Voraussetzungen für ein gutes Gelingen der neuen Eigenverantwortung: die Aussprache, dass es neue Herausforderung birgt; den geschützten Raum, mögliche Schwierigkeiten sowie Überforderungsmomente ansprechen zu können und letztlich die Bereitschaft aller, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen.
denkmodell wünscht den Mitgliedern des Traglinge Teams viel Kraft und Freude an der Arbeit ohne dabei den Blick auf sich selbst zu verlieren, um so mit genügend eigener Energie die betroffenen Familien unterstützen zu können.
*Blogartikel zu dem Thema: Sind wir nicht alle ein bisschen agil?; Agiles Arbeiten; brauchen wir das? und Agile Organisationen – Plädoyer für eine Differenzierung.