Ab ins Homeoffice – Mit Mindfulness die Krise als Chance nutzen
25. März 2020 von Irene Ossa
Für viele ist es eine neue Form zu arbeiten. Für andere ist das Arbeiten von Zuhause auch Standard. Jeden Tag für eine unabsehbare Zeit vom heimischen Computer aus zu arbeiten, mag jedoch sogar für Geübte eine Herausforderung sein: Wie gelingt virtuelle Kommunikation im Team effizient? Wie passe ich als Dienstleister*in meine Präsenzformate so an, dass sie auch online funktionieren? Wie organisiere ich meinen Alltag so, dass Arbeit sowie Privat- und Familienleben in guter Balance bleiben, wenn beides durch räumliche Nähe verschwimmt?
Wir halten viele Bälle in der Luft: Arbeits- und Lebensalltag wollen neu organisiert werden ohne dass wir Vorbereitungszeit hatten. Wir müssen flexibel umdenken und immer schwingt auch die Sorge um Gesundheit und Wirtschaft mit. Das ermöglicht uns konkrete Lernfelder für das berufliche Handwerk. Aber es verlangt uns auch einen neuen Umgang mit der Unsicherheit ab. Auch wenn der Rückzug ins Private Zeit für anderes frei macht, kann das vor dem aktuellen Hintergrund Stress auslösen.
Eine achtsame Haltung kann uns eine wertvolle Stütze dabei sein, gut durch diese Zeit zu kommen. Sie ermutigt uns, Neues zu lernen und uns auf unsere menschlichen Werte zu besinnen.
Unsere freie Mitarbeiterin Irene Ossa, Coach und Trainerin für MBSR und Mindful Leadership, erläutert hier, wie wir uns von belastenden Gedanken und Gefühlen distanzieren können.
1) Umgang mit stressvollen Gedanken
Stressvolle oder „katastrophisierende“ Gedanken wecken negative Emotionen und bringen uns physiologisch in automatisch ablaufende archaische Kampf-Flucht- oder Erstarrungsreaktionen, die auf Dauer schädliche Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben können. Dazu kommt: Sie verstellen den Blick für lösungsorientiertes Handeln und erschweren uns den Kontakt zu uns selbst und anderen.
Nach dem Stressmodell des amerikanischen Psychologen Richard Lazarus (1922−2002) ist es entscheidend, wie wir eine Situation bewerten, wenn wir einen guten Umgang damit finden wollen¹. Wenn wir unseren Bezug zur Situation überprüfen und feststellen, dass unsere Sichtweise darauf Stress in uns auslöst, haben wir die Möglichkeit, a) unsere innere Einstellung dazu zu verändern und die Situation als positive Herausforderung zu sehen, b) etwas zu unternehmen, um das Beste aus der Situation zu machen, c) Innezuhalten, zur Ruhe zu kommen und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und d) unsere Ressourcen zu stärken. Das kann bedeuten, dass wir uns durch andere Menschen Unterstützung holen und alles dafür tun, gesund zu bleiben. Das ermöglicht, dass wir uns an die Herausforderung anpassen und neu lernen.
Konkret bedeutet das:
- Bemerken Sie zunächst: Das, was in der Zukunft tatsächlich passiert, kann häufig ganz anders sein, als Sie es sich zunächst vorgestellt haben. Negative, sorgenvolle Zukunftsszenarien finden zuallererst im Kopf statt. Das bedeutet: Wie Sie die Welt wahrnehmen, können Sie selbst steuern. Bemerken Sie, wenn sorgenvolle Gedanken auftauchen und machen Sie sich klar, dass es erstmal nur Gedanken sind. Dann können Sie innerlich „Stopp“ sagen und sich etwas Anderem zuwenden. Das macht es möglich, wieder in eine gesunde Distanz dazu zu kommen.
- Halten Sie sich nicht zu lange in Gedankenschleifen darüber auf, wie schlimm die aktuelle Lage ist. Versuchen sie konstruktiv damit umzugehen. Der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx verweist in seinem aktuellen Artikel auf eine Methode, die sich im Unternehmen in Visionsprozessen bewährt hat². „Wir nennen sie die RE-Gnose. Im Gegensatz zur PRO-Gnose schauen wir mit dieser Technik nicht in die Zukunft, sondern von der Zukunft aus ZURÜCK ins Heute“ schreibt Horx. Von einem fiktiven Datum in der Zukunft aus schaut man zurück in die Vergangenheit und stellt sich vor, wie sich die Welt bis dahin ganz konkret im täglichen Leben sichtbar auch zum Positiven gewandelt hat. Re-Gnosen bilden eine Erkenntnis-Schleife, in der wir uns selbst und unseren inneren Wandel in die Zukunftsrechnung einbeziehen. Wir setzen uns innerlich mit der Zukunft in Verbindung, und dadurch entsteht eine Brücke zwischen heute und morgen. Es entsteht ein »Future Mind« – Zukunfts-Bewusstheit. Das fühlt sich schon ganz anders an als eine Prognose, die in ihrem apodiktischen Charakter immer etwas Totes, Steriles hat. Wir verlassen die Angststarre und geraten wieder in die Lebendigkeit, die zu jeder wahren Zukunft gehört.”
- Lesen Sie nicht zu oft „Bad News“ auf Ihrem Handy. Sie triggern sonst unnötig sorgenvolle Gedankenschleifen. Widmen Sie sich aktiv Dingen, die Ihnen Freude machen.
2) Umgang mit schwierigen Gefühlen
- Selbstwahrnehmung stärken, Gefühle regulieren: Unsicherheit kann Angst machen. Starke Emotionen haben die Eigenschaft, sich hartnäckig festzusetzen, wenn sie nicht beachtet werden. Das ist wie ein Ball, den man versucht unter Wasser zu drücken und der immer wieder hochploppt. Hier kann es helfen, die Gedanken dazu aufzuschreiben oder jemandem mitzuteilen. Dann sind sie erstmal woanders „geparkt“ und raus aus dem Kopf.
- Eine weitere Möglichkeit ist es, das ängstliche, traurige oder wütende Gefühl im Körper bewusst wahrzunehmen. Da könnte ein Druckempfinden sein oder ein Brennen. Geben Sie diesem Empfinden kurz Ihre liebevolle Aufmerksamkeit, schicken Ihren Atem bewusst dorthin und versuchen, loszulassen. Alleine das Hinwenden zum Gefühl kann eine Veränderung bewirken.
Die Selbstwahrnehmung gilt in der Praxis der Achtsamkeit und in der Theorie der Emotionalen Intelligenz als Schlüsselkompetenz. So empfiehlt der amerikanische Psychologe Daniel Goleman und Autor des Bestsellers „EQ- Emotionale Intelligenz“ bei immer wiederkehrenden Sorgen, mittels achtsamer Wahrnehmung das ängstliche Empfinden im Körper und in den Gedanken schon am Beginn der Angstspirale zu erkennen. Nach dem Bemerken kann versucht werden, aktiv zu entspannen und kognitiv Argumente zu finden, die gegen diese Sorge sprechen könnten. Damit bauen Sie gesunde Skepsis gegenüber den eigenen sorgenvollen Gedanken auf.
- Suchen Sie Kontakt mit Freunden, Familie und Arbeitskolleg*innen. Schenken Sie sich selbst und anderen Zeit. Vielleicht hilft ein gemeinsamer Kaffee als Start in den Arbeitstag oder ein Team-Afterwork – auch mal virtuell per Zoom oder Skype. Gerade für Führungskräfte kann das eine Herausforderung sein. Doch: Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Auch hier gilt: Hinwenden und zuhören kann manches Problem schneller lösen, als wenn Sie sich abwenden. Denn dann verschafft es sich über andere Wege Luft. Hören Sie einmal offen zu, ohne zu schnell an den nächsten Schritt zu denken. Sie müssen nicht mal eine Lösung parat haben. Machen Sie sich klar, dass fünf Minuten in menschlichen Kontakt investierte Zeit sowohl Ihnen als auch Ihrem Gegenüber gut tun können. Psychologische Sicherheit steigert die Leistungsfähigkeit in Teams nachweislich³.
- Bemerken Sie bewusst, was alles um Sie herum an Mitmenschlichkeit, Solidarität und Teamgeist entsteht, und lassen Sie sich davon berühren. Wir tendieren dazu, verstärkt mit dem Negativen, potentiell Gefährlichen in der Welt in Resonanz zu gehen. Das bewahrt uns vor Risiken und ist deshalb positiv zu bewerten. Öffnen Sie Ihre Wahrnehmung dennoch bewusst vermehrt auch für das Positive. Das wirkt sich stärkend auf Sie selbst und andere aus.
- Nehmen Sie sich Zeit für Ruhe, Besinnung, Entspannung und Sport. Gerade in einer Zeit geschlossener Fitnessstudios, sind wir gehalten, ein besonderes Augenmerk darauf zu geben, wie wir gut für uns und unsere Gesundheit sorgen können. Physische und psychische Widerstandskraft hängen direkt miteinander zusammen. Ist unser Körper zwar automatisch jederzeit für Stressreaktionen bereit, so ist er sehr empfänglich für aktive Entspannungsmethoden wie Meditation, Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Yoga u.a.. Dadurch wird das Herz-Kreislaufsystem weniger empfindlich für Sympathikusreize die stressend wirken, und die Durchblutung wird angeregt, während der Blutdruck sinkt.
Wenn Räume enger werden, weil wir vielleicht für eine gewisse Zeit zuhause bleiben müssen, sorgen Sie ganz bewusst auch für einen strukturierten Tagesablauf. Setzen Sie sich Zeitgrenzen und planen Sie bewusst Zeit für Berufliches und Privates. Das gibt Sicherheit und Orientierung für Sie selbst und Ihr soziales Umfeld. - Begreifen Sie die Situation als Herausforderung, auch Neues zu lernen. Seien es technische Formate, neue Inhalte oder auch die persönliche Entwicklung im Umgang mit der neuen Situation. Lassen Sie von der Vorstellung los, dass alles genauso wird wie vorher. Alles, was lebendig ist, befindet sich in ständigem Wandel. Wenn wir lernen, Erwartungen zu überprüfen und sie loszulassen statt festzuhalten, sind wir auf dem besten Wege, Stress zu bewältigen und offen zu werden für das was entstehen will.
Ein interessanten Artikel mit einem Interview mit Irene Ossa zum Thema MBSR finden Sie außerdem hier.
Fußnoten:
¹: https://de.wikipedia.org/wiki/Stressmodell_von_Lazarus#Bewertungsorientiertes_Coping
²: https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/ (abgerufen am 18.03.2020)
³: „Psychologische Sicherheit” ist ein Begriff aus der Forschung über organisationale Transformation. Mehr dazu: https://www.anti-bias.eu/allgemein/psychologische-sicherheit-definition/