Macht Viel­falt erfolg­reich?

16. März 2015 von Britta Dube

Inter­view mit Dr. Sebas­tian Steg­mann

Diver­sity Manage­ment inner­halb der Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung und wissen­schaft­li­che Diver­sity-Forschung haben zumeist wenig Berüh­rungs­punkte und nehmen sich gegen­sei­tig kaum zur Kennt­nis. In diesem Blog-Beitrag möch­ten wir das ändern: Britta Dube führte ein Inter­view mit Dr. Sebas­tian Steg­mann vom Center for Leader­ship and Beha­vior in Orga­ni­sa­ti­ons (CLBO) der Univer­si­tät Frank­furt. Darin berich­tet er  von seinen wissen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen und möchte damit auch die prak­tisch arbei­ten­den Berater/innen inspi­rie­ren.

Herr Steg­mann, Sie erfor­schen Diver­si­tät. Was heißt für Sie „Diver­sity“?

Foto von Sebastian Stegmann.

Diver­si­tät kann man defi­nie­ren als die Gesamt­heit von Unter­schie­den zwischen den Mitglie­dern einer Gruppe von Menschen. 1 Damit geht es hier also um eine Eigen­schaft einer Gruppe. Im Gegen­satz dazu wird Forschung mit dem Fokus auf das einzelne Grup­pen­mit­glied, welches sich mehr oder weni­ger vom Rest der Gruppe unter­schei­det, unter dem Begriff „rela­tio­nal demo­gra­phy“ betrie­ben. 2 Wich­tig ist, dass Diver­si­tät sich prin­zi­pi­ell auf alle mögli­chen Unter­schiede bezie­hen kann und keines­wegs beschränkt ist auf die übli­chen Verdäch­ti­gen – d.h. Alter, Geschlecht, ethni­sche Herkunft – oder auch nur auf den erwei­ter­ten Kreis der im Allge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) erwähn­ten Diver­si­täts­di­men­sio­nen. Heraus­zu­fin­den, welche der unzäh­li­gen poten­ti­ell rele­van­ten Unter­schiede für eine konkrete Arbeits­gruppe oder Orga­ni­sa­tion tatsäch­lich bedeut­sam sind, dürfte eine der größ­ten Heraus­for­de­run­gen des Diver­sity Manage­ments sein. Eine Heraus­for­de­rung, die nur zu gerne über­se­hen wird. Über die verschie­de­nen Diver­si­täts­di­men­sio­nen hinaus gibt es in der Wissen­schaft noch eine Reihe von Möglich­kei­ten, genauer zu beschrei­ben wie die Unter­schiede in einer Gruppe ausse­hen 3 und wie verschie­dene Unter­schiede (z.B. Alter und Geschlecht) in einem Team zusam­men­spie­len, um eine mehr oder weni­ger ausge­prägte „Grüpp­chen­bil­dung“ zu erzeu­gen 4. Diver­si­tät ist ein sehr brei­ter, schwam­mi­ger Begriff. Sich die Zeit zu nehmen, um im konkre­ten Fall genauer hinzu­schauen und zu präzi­sie­ren, um was es geht, lohnt sich meines Erach­tens fast immer.

Wenn wir von „Diver­sity“ spre­chen, ist dieser Begriff häufig posi­tiv belegt. Viel­falt klingt bunt, leben­dig, abwechs­lungs­reich – und verspricht mehr Krea­ti­vi­tät und Inno­va­tion. Der Inter­na­tio­nal Busi­ness Case Report von 2012 scheint zu bele­gen, dass hete­ro­gene Teams bessere Leis­tun­gen erbrin­gen. Können Sie das aus wissen­schaft­li­cher Sicht bestä­ti­gen? Führt mehr Viel­falt im Team zu besse­ren Ergeb­nis­sen?

Das Thema Diver­si­tät baut histo­risch in vielen Unter­neh­men auf einer Basis aus Gleich­stel­lungs­ar­beit und Anti-Diskri­mi­nie­rungs­be­mü­hun­gen auf. Das erklärt die mora­li­sche Kompo­nente der Ange­le­gen­heit. Es muss klar gesagt werden: Gleich­be­rech­ti­gung und die Vermei­dung von Diskri­mi­nie­rung sind mora­li­sche Impe­ra­tive, denen sich kein Unter­neh­men ernst­haft entzie­hen kann. Neben­bei bemerkt glaube ich daran, dass das durch­aus auch aus ökono­mi­scher Perspek­tive Sinn macht. Das Resul­tat dürfte in den meis­ten Betrie­ben dann ein gewis­ses Ausmaß an Diver­si­tät sein. Die Frage ist nun, was bringt uns diese Diver­si­tät?

Dieser Frage wird in der Diver­si­täts­for­schung schon eine geraume Zeit nach­ge­gan­gen. Studien, die sich mit der Diver­si­tät in Arbeits­grup­pen beschäf­ti­gen, kommen schon seit mehre­ren Jahr­zehn­ten immer wieder zu dem Schluss, dass Diver­si­tät manch­mal posi­tive und manch­mal nega­tive Effekte mit sich brin­gen kann 5, 6. Mehrere Meta-Analy­sen – d.h. objek­tive Zusam­men­fas­sun­gen von Studien – kommen zu dem Ergeb­nis, dass es im Durch­schnitt über alle bishe­ri­gen Studien hinweg keinen Zusam­men­hang zwischen Diver­si­tät und zum Beispiel Leis­tung einer Arbeits­gruppe gibt. 7, 8 Das Span­nende an diesen Analy­sen ist jedoch, dass die Ergeb­nisse zwischen den einzel­nen Studien sehr stark streuen. Eine sehr beliebte Idee hierzu war, dass manche Diver­si­täts­di­men­sio­nen (z.B. ethni­sche Grup­pen­zu­ge­hö­rig­kei­ten) eher nega­tive Folgen und manch andere (z.B. in Bezug auf den Bildungs­hin­ter­grund) eher posi­tive Effekte hervor­brin­gen. Dieser Ansatz hat sich nicht bestä­tigt. 9

Wenn ich Sie rich­tig verstehe, sind (posi­tive und nega­tive) Effekte von Viel­falt nicht pauschal mess­bar? Über­ra­schend! In der Bera­tung gehen wir häufig davon aus, dass es posi­tive Effekte gibt und hätten hier eine Bestä­ti­gung erwar­tet. Statt­des­sen ist es also für den Erfolg egal, wie ein Team zusam­men­ge­setzt ist?

Mess­bar sind diese Effekte schon. Nur das Ergeb­nis ist eben von Studie zu Studie sehr unter­schied­lich – mal ist Diver­si­tät ein Segen, mal ein Fluch. Die Frage ist, wann das eine, wann das andere und wann keines von beidem zutrifft. Ein sehr plaka­ti­ves Beispiel mag die Situa­tion verdeut­li­chen: Die Frage ob Diver­si­tät vorteil­haft oder nach­tei­lig ist, erin­nert mich persön­lich immer an die Frage, ob es empfeh­lens­wert ist zu heira­ten. Gehen wir von einer stereo­typ gegen­ge­schlecht­li­chen Lebens­part­ner­schaft aus, hätten wir mit der Heirat eine kleine Gruppe mit großer Geschlech­ter­di­ver­si­tät geschaf­fen. Ist dies eine gute Idee? Wie wird die Zukunft der Eheleute ausse­hen? Nicht nur vor dem Hinter­grund der momen­ta­nen Schei­dungs­rate fällt einem da die Vorher­sage schwer. Es kommt eben darauf an was man daraus macht.

Diver­si­tät aus mora­li­schen Grün­den zu fördern ist eine Sache. Diskri­mi­nie­rung zu redu­zie­ren und Gleich­be­rech­ti­gung zu garan­tie­ren, schafft aller­dings erst die Ausgangs­ba­sis für alles, was danach an Diver­sity Manage­ment kommen kann. Berater*innen die hier aufhö­ren und Ihren Klient*innen wirt­schaft­li­chen Profit aus der Diver­si­tät verspre­chen, handeln meiner Ansicht nach riskant.

Die gute Nach­richt lautet: Die Wissen­schaft hat in den vergan­gen Jahren einige Fakto­ren entdeckt, die helfen können die Effekte der Diver­si­tät in Unter­neh­men zu steu­ern. Ein Beispiel hier­für sind die Einstel­lun­gen der Grup­pen­mit­glie­der zur Diver­si­tät ihrer Gruppe. Dort wo Diver­si­tät wert­ge­schätzt wird, sehen wir tenden­zi­ell auch bessere Effekte. 10 Dieser gute Wille reicht aller­dings bei weitem nicht aus. Es kommt zum Beispiel auch darauf an, dass die Team­mit­glie­der gleich­zei­tig eine gewisse Moti­va­tion für die zu erle­di­gen­den Aufga­ben mitbrin­gen. 11 Weiter­hin sollte diese Aufga­ben eine posi­tive Nutzung von Diver­si­tät zulas­sen und die Team­mit­glie­der soll­ten die Fähig­kei­ten mitbrin­gen, die Diver­si­tät entspre­chend zu nutzen. 12 Dies sind nur einige Beispiele. Es werden konti­nu­ier­lich neue Studien zu ähnli­chen Bedin­gungs­fak­to­ren für erfolg­rei­ches Diver­sity Manage­ment publi­ziert.

Wie passt das zusam­men mit der Studie, die Sie eingangs erwähn­ten, der zufolge Diver­si­tät immer mit wirt­schaft­li­chem Erfolg verbun­den sein soll? Der Groß­teil der Forschung, die ich eben erwähnte, beschäf­tigt sich mit der Leis­tung einzel­ner Arbeits­grup­pen. Es ist durch­aus vorstell­bar, dass auf Unter­neh­mens­ebene die wirt­schaft­li­chen Vorteile konsis­ten­ter ausfal­len. Denken wir zum Beispiel daran, dass viele unter­neh­mens­weite Diver­sity Manage­ment Programme zunächst einmal auf die Vermei­dung von Diskri­mi­nie­rung ausge­rich­tet sind und dass Diskri­mi­nie­rung in mehrer­lei Hinsicht schlecht fürs Geschäft ist. Es ist offen­sicht­lich, dass hier durch Diver­sity Manage­ment mone­täre Vorteile entste­hen können. Auch könnte man anneh­men, dass Unter­neh­men durch die Einfüh­rung eines moder­nen Diver­sity Mangament Programms nach außen eine Signal­wir­kung erzie­len, sich als moder­nes, verant­wor­tungs­be­wuss­tes Unter­neh­men präsen­tie­ren. Dies alles sind sehr reale Möglich­kei­ten, über die die von mir zitierte Forschung zunächst keine Aussage macht.

Stel­len Sie sich vor, eine große Orga­ni­sa­tion (z.B. ein Kran­ken­haus) ist vom Fach­kräf­te­man­gel betrof­fen und stellt in rela­tiv kurzer Zeit rela­tiv viele auslän­di­sche Fach­kräfte (Ärztin­nen und Krankenpfleger*innen) ein. Was empfeh­len Sie dieser Orga­ni­sa­tion? Was sind die Hebel, damit es zu einer guten Zusam­men­ar­beit kommt?

In dieser Situa­tion wäre vermut­lich eine tief­grei­fende Analyse wich­tig, um nicht mit vorschnel­len Maßnah­men an der Ober­flä­che der eigent­li­chen Probleme zu krat­zen. Wie sehen die Mitarbeiter*innen die neue Entwick­lung? Wie sehr sind sie über die (vermeint­li­che) Notwen­dig­keit infor­miert? Wie funk­tio­niert die Zusam­men­ar­beit? Welche Probleme haben alte und neue Mitarbeiter*innen über­haupt? Ist die vermeint­li­che Diver­si­tät wirk­lich „das“ Problem oder geht es in den Diskus­sio­nen viel­mehr um Themen wie Arbeits­platz­un­si­cher­heit, Über­stun­den, mangelnde Wert­schät­zung, geringe Bezah­lung, Belas­tung durch hohen Kran­ken­stand oder derglei­chen? Kann Diver­si­tät hier sinn­voll als etwas Nütz­li­ches ange­se­hen werden? Oder geht es viel­mehr darum, Diskri­mi­nie­rung zu vermei­den? Welche Status-Rela­tio­nen sind ange­mes­sen – immer­hin mag es Unter­schiede zwischen exami­nier­ten Krankenpfleger*innen und ange­lern­ten Hilfs­kräf­ten geben? Aufbau­end auf diesen und ande­ren Fragen kann dann, unter Zuhil­fe­nahme der Erkennt­nisse aus den einschlä­gi­gen Studien, ein Hand­lungs­plan entwor­fen werden.

Orga­ni­sa­ti­ons- und Prozess­be­ra­tung auf der einen Seite und wissen­schaft­li­che Forschung auf der ande­ren Seite schei­nen häufig in getrenn­ten Sphä­ren statt­zu­fin­den. Wie lauten Ihre Empfeh­lun­gen an prak­tisch tätige Berater*innen? Welche drei Arti­kel oder Studien soll­ten dieje­ni­gen von uns, die zum Thema Diver­sity Manage­ment arbei­ten, unbe­dingt kennen und in ihre Arbeit inte­grie­ren?

Die vermut­lich wich­tigste Empfeh­lung lautet: Suchen Sie den Kontakt. Die meis­ten Kolleg*innen, die ich kenne, sind immer auf der Suche nach span­nen­den Projek­ten in Unter­neh­men, die sich zur Verwer­tung in wissen­schaft­li­chen Studien eignen. Im Gegen­zug sind sie oft bereit, inhalt­li­chen Input zu geben und aus ihrer Perspek­tive bera­tend zur Seite zu stehen. Auf diese Weise müssen Berater*innen nicht zu Wissenschaftler*innen werden und umge­kehrt. Die Antwort liegt im diver­sen Team.

Sollte der eine oder die andere dennoch Lust verspü­ren, sich tiefer einzu­le­sen, so empfehle ich nicht drei sondern zunächst nur zwei Arti­kel:

  1. van Knip­pen­berg, D., C.K.W. De Dreu, and A.C. Homan, Work group diver­sity and group perfor­mance: An inte­gra­tive model and rese­arch agenda. Jour­nal of Applied Psycho­logy, 2004. 89(6): p. 1008–1022.
    Viel­leicht das einfluss­reichste theo­re­ti­sche Modell zum Thema Diver­si­tät in Arbeits­grup­pen.
  2. van Knip­pen­berg, D. and M. Schip­pers, Work group diver­sity. Annual Review of Psycho­logy, 2007. 58: p. 515–541.
    Eine ausführ­li­che Zusam­men­fas­sung der bishe­ri­gen Diver­si­täts­for­schung.

Das Inter­view führte Britta Dube. Nähe­res zu Dr. Sebas­tian Steg­mann finden Sie unter ande­rerm beim CLBO.

Notes:

  1. Harri­son, D.A. and H.-P. Sin, What is diver­sity and how should it be measu­red?, in Hand­book of work­place diver­sity, A.M. Konrad, P. Prasad, and J.K. Pringle, Editors. 2006, Sage Publi­ca­ti­ons, Inc: Thousand Oaks, CA, US. p. 191–216.
  2. Tsui, A.S. and C.A. O’Reilly, Beyond simple demo­gra­phic effects: The importance of rela­tio­nal demo­gra­phy in supe­rior-subor­di­nate dyads. Academy of Manage­ment Jour­nal, 1989. 32(2): p. 402–423.
  3. Harri­son, D.A. and K.J. Klein, What’s the diffe­rence? Diver­sity cons­tructs as sepa­ra­tion, variety, or dispa­rity in orga­ni­sa­ti­ons. Academy of Manage­ment Review, 2007. 32(4): p. 1199–1228.
  4. Lau, D.C. and J.K. Murnig­han, Demo­gra­phic diver­sity and fault­li­nes: The compo­si­tio­nal dyna­mics of orga­niza­tio­nal groups. The Academy of Manage­ment Review, 1998. 23(2): p. 325–340.
  5. Williams, K.Y. and C.A. O’Reilly, III, Demo­gra­phy and diver­sity in orga­niza­ti­ons: A review of 40 years of rese­arch, in Rese­arch in orga­niza­tio­nal beha­vior: An annual series of analy­ti­cal essays and criti­cal reviews., B. Staw and R. Sutton, Editors. 1998, JAI Press: Green­wich, CT. p. 77–140.
  6. Jack­son, S.E. and A. Joshi, Work team diver­sity, in APA hand­book of indus­trial and orga­niza­tio­nal psycho­logy, S. Zedeck, Editor. 2011, Ameri­can Psycho­lo­gi­cal Asso­cia­tion; US: Washing­ton, DC. p. 651–686.
  7. van Dijk, H., M.L. van Engen, and D. van Knip­pen­berg, Defy­ing conven­tio­nal wisdom: A meta-analy­ti­cal exami­na­tion of the diffe­ren­ces between demo­gra­phic and job-rela­ted diver­sity rela­ti­onships with perfor­mance. Orga­niza­tio­nal Beha­vior and Human Decis­ion Proces­ses, 2012. 119(1): p. 38–53.
  8. Joshi, A. and H. Roh, The role of context in work team diver­sity rese­arch: A meta-analy­tic review. Academy of Manage­ment Jour­nal, 2009. 52(3): p. 599–627.
  9. van Knip­pen­berg, D. and M. Schip­pers, Work group diver­sity. Annual Review of Psycho­logy, 2007. 58: p. 515–541.
  10. Steg­mann, S., Enga­ging with diver­sity of social units – A social iden­tity perspec­tive on diver­sity in orga­niza­ti­ons. 2011, Goethe Univer­sity: Frank­furt am Main, Germany.
  11. Meyer, B. and C.C. Scher­muly, When beliefs are not enough: Exami­ning the inter­ac­tion of diver­sity fault­li­nes, task moti­va­tion, and diver­sity beliefs on team perfor­mance. Euro­pean Jour­nal of Work and Orga­niza­tio­nal Psycho­logy, 2011: p. 1–32.
  12. van Knip­pen­berg, D., C.K.W. De Dreu, and A.C. Homan, Work group diver­sity and group perfor­mance: An inte­gra­tive model and rese­arch agenda. Jour­nal of Applied Psycho­logy, 2004. 89(6): p. 1008–1022.