Umgang mit schwierigen Gefühlen in Zeiten von Corona
25. März 2020 von Julia von Kanitz
In diesen Tagen befinden wir uns in einem Wechselbad der Gefühle und Stimmungen. Werden wir morgen noch rausgehen können? Was passiert, wenn ich Fieber und Husten bekomme? Wen muss ich informieren? Wie lange werden die öffentlichen Einrichtungen und Geschäfte geschlossen sein? In Zeiten wie diesen zeigt sich, wie schwierig es ist, mit Unsicherheit und Ungewissheit umzugehen. Es sagt sich so leicht, dass wir das „aushalten“ müssen und dies zum Leben dazugehört. Welche Trigger unsere Ängste und Unsicherheiten schüren, ist sehr individuell und abhängig von der persönlichen Lebenssituation, finanziellen Lage und körperlichen Konstitution. Angst ist ein urmenschliches Gefühl und nicht nur lähmend, sondern auch aktivierend. Angst hat eine nützliche Funktion, da es unser Gefahrenabwehrsystem aktiviert und wir entsprechende Reaktionen planen können.
Es gibt sicherlich viele Möglichkeiten mit Unsicherheiten und Ängsten umzugehen. Was für die oder den Einzelne*n funktioniert, ist sehr individuell. Wir stellen daher verschiedene Praktiken vor – in dem Wissen, dass es noch viel mehr gibt.
1. Mitfühlende Selbsterkundung
Achtsamkeit, Akzeptanz und Selbstmitgefühl sind im Umgang mit Angst hilfreich und wirksam. Wenn wir unseren Sorgen und Ängsten mitfühlend begegnen, kann das sehr heilsam sein; wir können oft ausgesprochen mitfühlend zu anderen sein, uns selbst gegenüber fällt das nicht so leicht. Wir müssen unsere Ängste und Sorgen nicht unterdrücken – wir können uns zwei bis drei Mal am Tag ganz bewusst Zeit nehmen, um den Ängsten Raum zu geben. Die Angst ist dann nicht weg, aber sie darf da sein. Und in diesem Moment, in dem sie da sein darf und aus der Perspektive eines*r wohlwollenden inneren Beobachters*in wahrgenommen wird, verliert sie etwas von ihrer Kraft.
Wem das gelingt, kann sich auch diese Fragen stellen:
- Was kann ich daraus lernen? Was scheine ich gerade zu brauchen? Und wie kann ich das bekommen?
- Was macht mich an dieser Situation gerade neugierig, was ich weiter erforschen möchte?
Wer mehr über Selbstmitgefühl lernen möchte findet auch hier nützliche Informationen: https://www.msc-selbstmitgefuehl.org/selbstmitgefuehl
Eine ganze Fülle von Atem- und Achtsamkeitsübungen können helfen, körperliche Empfindungen, Gefühle und Spannungen wahrzunehmen. Es gibt zum einen einige Meditation-Apps, aber auch viele Yogastudios stellen im Moment ihre Angebote online zur Verfügung und man kann diese Studios auf Spendenbasis unterstützen.
2. Somatische Tools
Versuchen Sie ganz bewusst zu entspannen – folgende Übung könnte nützlich sein: Lassen Sie langsam Ihre Aufmerksamkeit durch Ihren Körper wandern, beginnend mit Ihren Füßen und bis nach oben zum Kronenpunkt Ihres Kopfes. Verbringen Sie ein paar Atemzüge an jedem Körperteil. Stellen Sie sich vor, wie eine Spannung diesen Teil Ihres Körpers verlässt. Oder stellen Sie sich vor, Sie senden Ihren Atem an dieses Körperteil und mit diesem Atem schmilzt die Verspannung dahin.
Eine andere Möglichkeit könnte sein, dass Sie vor Ihrem inneren Auge beruhigende Bilder betrachten. Konzentrieren Sie sich für ein paar Minuten auf das gewählte Bild – etwa Bilder von geliebten Menschen, schönen Objekten oder ruhigen Landschaften. Sie können diese Übung natürlich auch mit echten Bildern oder Fotos machen.
Legen Sie Musik auf, die Sie beruhigt, tröstet oder mit guter Energie überströmt. Spüren Sie nach, ob sich körperlich etwas ändert, wenn Sie jetzt auf die Situation schauen, die Ihnen Angst macht. Nutzen Sie das Home-Office auch für die Umnutzung Ihres Wohnzimmers zur eigenen Tanzfläche. Weil wegen der Corona-Pandemie nicht mehr im Club gefeiert werden darf, gibt es die DJ-Sets aus den Berliner Hotspots nun als Live-Stream. Auf der neu gegründeten Plattform United We Stream hören Sie täglich ab 19 Uhr ein mehrstündiges Musikprogramm. Der virtuelle Club soll neben der Live-Übertragung von DJ-Sets und Konzerten auch Performances, Gesprächsrunden, Vorträge und Filme bieten. Ein „Eintrittsgeld“ wird nicht verlangt, aber zu Spenden auf der Crowdfunding-Seite betterplace.org aufgerufen – damit auch die Clubs die Corona Krise überleben.
3. Andere Menschen unterstützen und Hilfe anbieten
Anderen Menschen etwas Gutes zu tun ist ein probates Gegenmittel gegen Angst. Wir alle haben sicherlich schon einmal die Erfahrung gemacht, dass wir stärker werden, wenn wir anderen helfen; dabei verlieren wir oft die eigene Angst und fühlen uns wirksam. Daher können wir uns täglich fragen: Wem kann ich heute etwas Gutes tun? Wen könnte ich unterstützen? Wer würde sich über einen Anruf, eine Nachricht freuen?
Um aus dem Gedankenkarussell herauszukommen, fragen Sie sich jeden Tag und besonders wenn Angst und Sorge besonders präsent sind: Was kann ich tun, um anderen zu helfen? Sie können beispielsweise diejenigen anrufen, die sich besonders ängstlich oder einsam fühlen. Welches Unternehmen und welche Organisation können Sie jetzt unterstützen, die stark betroffen sind? Manche Restaurants verkaufen Gutscheine, die man einlösen kann, wenn alles wieder öffnen darf. Solche Aktionen können das Überleben eines Betriebes sichern.
Wegen der Schließung von Schulen, Kitas und anderen Einrichtungen haben die Blutspendedienste des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) weniger Spendemöglichkeiten.
“Lang geplante Blutspendetermine müssen nun kurzfristig abgesagt werden und das hat wiederum Folgen für die Versorgung mit Blutkonserven”, sagte die Sprecherin für Berlin und Brandenburg, Kerstin Schweiger. Das Rote Kreuz bittet die Bevölkerung deshalb um Hilfe bei der Suche nach geeigneten Orten für Blutspenden. Außentermine, bei denen Blut gespendet werden kann, soll es aber weiter geben.
Und jeder kann sich gerade fragen, welches persönliche Wissen, welche Fähigkeiten, persönlichen Stärken oder andere Ressourcen in dieser Krise für andere von Nutzen sein können.
4. Verbundenheit und Zugehörigkeit initiieren
Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen Verbundenheit und das Gefühl von Zugehörigkeit. Das Gefühl von Verbundenheit reduziert Angst und Stress. Fragen Sie sich, mit wem Sie auch ohne direkten Kontakt verbunden sein möchten oder Verbundenheit spüren möchten. Allein sein kann sich besser anfühlen, wenn man weiß, dass andere an einen denken. Für manche ist telefonieren gut, andere bevorzugen Messenger-Dienste, wieder andere mögen Video-Calls über Zoom oder Skype. Holen Sie sich Ihre Dosis Verbundenheit, die Sie brauchen.
5. Kognitive Tools nutzen
Es kann helfen, sich einmal sehr nüchtern anzuschauen: Was passiert gerade, wie ist es heute? Welche weiteren Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten können eintreten? Und gibt es jetzt schon Beweise dafür, dass dies so eintreten wird? Dann versuchen Sie wieder in den gegenwärtigen Moment zurückzukommen und eine Aktivität zu machen, die Sie ganz ins Hier und Jetzt bringt. Bei welcher Tätigkeit vergessen Sie die Zeit? Musik machen, singen, tanzen, kochen oder aufräumen? Egal was es ist: Eine Tätigkeit, bei der Sie sich ganz auf den Moment konzentrieren, kann nützlich sein, um wirklich präsent zu sein und das Kopfkino auszuschalten.
Manchen hilft es auch, in Worst-Case-Szenarien zu denken: Was ist das Schlimmste, was uns passieren könnte? Was wäre dann? Was würde ich dann tun? Und was danach? Das kann Entlastung schaffen, denn Sie haben sich im Geiste schon mögliche Schritte überlegt.
6. Plan für den Nachrichten- und Social-Media-Konsum
Natürlich möchten wir alle informiert bleiben über die jüngsten Ereignisse. Dennoch könnte es nützlich sein, einmal zu reflektieren, wie häufig unsere Ängste durch Nachrichten weiter getriggert werden; wenn wir kontinuierlich am Handy und Rechner Zugriff auf Kanäle wie Twitter oder Instagram haben. Es könnte nützlich sein, sich ganz bewusst zwei bis drei Zeiträume am Tag für Nachrichten und Social Media zu blocken und zwischendurch Pausen zu machen. Probieren Sie es aus.
Es kursieren natürlich auch viele unwahre oder verfälschte Nachrichten im Internet. Vielleicht hilft dieser Link für einen Faktencheck: https://www.spiegel.de/netzwelt/web/coronavirus-fake-news-entlarven-anleitung-zum-faktencheck-a-25e5045f-ed20-4d33-838a-9be8aab84c03
Wir wünschen allen Leser*innen viel Zuversicht. Bleiben Sie gesund!