Virtuelle Mediation: Streit online beilegen – wie geht das?
15. Mai 2020 von Albert Eckert
Mancher Streit kann nicht warten. Ahmed* und seine Chefin Isabell* (*Namen zur Wahrung der Anonymität geändert) sind beide im Home Office. Der Ton in den Emails ist mal frostig, mal wütend. An virtuellen Teammeetings nimmt Ahmed schon gar nicht mehr teil, weil er nicht vor allen anderen von Isabell „fertig gemacht“ werden möchte. Das bringt Isabell erst recht auf, sie spricht von „Arbeitsverweigerung“ und „Kündigungsgrund“. Bei der Personalabteilung hat sie sich Rat für eine Abmahnung geholt, doch die empfahl erstmal eine Mediation. Das Arbeitsverhältnis sei doch früher gut gewesen, die Beurteilungen einwandfrei, da müsse doch was möglich sein. Eine Kündigung sei im Unternehmen im Moment ohnehin ausgeschlossen. Isabell willigt etwas widerstrebend in die Mediation ein, Ahmed auch, die Personalabteilung stellt den Kontakt zu denkmodell her.
Mit der Personalabteilung diskutiert denkmodell verschiedene mögliche technische, personelle und methodische Ansätze. Kann eine der von denkmodell verwandten technischen Lösungen zum Einsatz kommen oder brauchen wir eine Anbindung zur Online-Plattform der Kund*innen? Wie können Datensicherheit und Datenschutz gewährleistet werden? Muss die IT-Abteilung eingeschaltet werden? Wer aus dem denkmodell-Mediationsteam passt am besten auf diese Konflikt-Konstellation? Genügt eine Mediator*in oder sollte es besser eine Ko-Mediation mit einem eingespielten Mediator*innen-Duo sein?
Methodik der virtuellen Mediation
Methodisch ist vor allem folgendes zu entscheiden: In der klassischen Mediation besteht die erste Sitzung in einer gemeinsamen Festlegung der Rahmenbedingungen („Eingangsvereinbarung“) und der Sammlung der Konflikt-Themen. In einer virtuellen Mediation wäre das zwar ebenfalls möglich, doch erfahrungsgemäß ist es schwierig, den Einstieg zu finden, wenn Konfliktparteien und Mediator*in einander noch nie gesehen haben. Deshalb schaltet denkmodell in der virtuellen Mediation gerne vertrauensbildende Einzelgespräche voraus, in denen noch nicht tiefer auf den Konflikt eingegangen wird oder gar schon Lösungsmöglichkeiten besprochen werden. Das bleibt wie in der klassischen Mediation den gemeinsamen Sitzungen vorbehalten. Im Rahmen einer sogenannten „Pendel-Mediation“ können in hocheskalierten Konflikten auch immer wieder Einzelsitzungen stattfinden; die Mediator*in pendelt quasi zwischen den Konfliktparteien hin und her und lotet die Bereiche von Übereinstimmung und Nicht-Übereinstimmung aus.
Statt des Flipcharts, wie es in der klassischen Mediation zum Einsatz kommt, stellt denkmodell ein geschütztes virtuelles Whiteboard zur Visualisierung zur Verfügung. Auch Dokumente können so online während der Sitzung gemeinsam betrachtet werden. Dabei hat es sich als hilfreich erwiesen, wenn die Mediator*in vorab die ausgewählten relevanten Dokumente erhält und sie den Konfliktparteien in gleicher Sortierung zugänglich macht. Die Mediator*in kann einzelne Dokumente dann auch während der Sitzung bei Bedarf einblenden. Das plötzliche Einblenden unbekannter Dokumente wirkt hingegen schnell wie eine Überrumpelung. Deshalb soll darauf wie in der klassischen Mediation verzichtet werden. Auch dort wird man „mal eben“ neu aus der Tasche gezogene Dokumente in einer Sitzung nur zulassen, wenn alle damit einverstanden sind.
Virtuelle Mediation und Datenschutz
Ist die virtuelle Mediation unter Datenschutz-Gesichtspunkten „sicher“? Sie ist nicht sicherer oder unsicherer als es Video-Konferenzen ansonsten auch sind. Viele bemühen sich derzeit, solche Unsicherheiten auszuräumen und auch denkmodell beobachtet den Markt: Welche Plattformen gelten als am wenigsten angreifbar und sind zuverlässig? Kaum auszuräumen ist leider auch die Möglichkeit, dass eine der Konfliktparteien unerlaubt mitschneidet. Schon in klassischen Mediationen kommt es vor, dass Einzelne auf dem Handy Sitzungen mitschneiden wollen. Online ist es praktisch unmöglich, den Mitschnitt sicher zu verhindern. Er muss deshalb schon zu Beginn dezidiert für alle ausgeschlossen oder zugelassen werden.
Vorzüge virtueller Mediation
Die Bearbeitung der verschiedenen Themen und die Entwicklung von Lösungsoptionen gehen online erstaunlich gut. Es scheint so, als hätte das virtuelle Setting einen eher ausgleichenden Charakter, dank dessen verbale Übergriffe seltener vorkommen als in Präsenz-Sitzungen. Die mangelnde körperliche Nähe kann hier sogar von Vorteil sein, körpersprachliche Elemente treten etwas in ihrer Bedeutung zurück, Sprache, Geräusche und Mimik bestimmen das Geschehen.
Ahmed und Isabell sind einander tatsächlich wieder näher gekommen. Ahmed hat eine förmliche „Ermahnung“ akzeptiert und die beiden sind übereingekommen, im Team eine Umverteilung der Arbeit anzustrengen, die die bisher einseitige Auslastung von Ahmed in einem für ihn uninteressanten Bereich vermeidet. Außerdem wurde ein Nachgespräch mit der Mediator*in einige Wochen später vereinbart, um zu reflektieren, was aus der Mediationsvereinbarung geworden ist.
Grenzen und Vorteile virtueller Mediation
Wo sind die Grenzen der virtuellen Mediation? Ob Arbeitsplatzkonflikte, ob Streit um Konventionalstrafen auf dem Bau, ob Streit unter Gesellschafter*innen eines Forschungs-Instituts, ob Trennungsvereinbarungen von Lebensgefährt*innen und selbst Fragen des Kindes-Umgangs in Scheidungsfamilien – all dies kann in Pandemie-Zeiten im Rahmen einer virtuellen Mediation verhandelt werden. Schon bisher kostet eine Mediation in der Regel weniger als eine gerichtliche Klärung, geht deutlich schneller und führt zu mehr Frieden, weil nicht eine Partei vor Gericht „siegt“ sondern man sich gemeinsam einigt. In Pandemie-Zeiten ist es zudem der sicherere Weg.
Technisch und methodisch anspruchsvoller (und deshalb teurer und seltener) ist die virtuelle Mediation bei sehr vielen Verfahrensbeteiligten – und wenn Steuerberater*innen und Rechtsanwält*innen beratend mit am virtuellen Tisch sitzen sollen oder Dolmetscher*innen dabei sein müssen. Dabei gibt es für das Mediator*innen-Team mittlerweile Möglichkeiten, virtuelle „Nebenzimmer“ zu schaffen, in denen sich einzelne Beteiligte zwischendurch verständigen können, Arbeitsgruppen zu bilden und komplexe Sachverhalte zu visualisieren. Je länger der Lockdown dauert, desto ausgefeilter werden die technischen Möglichkeiten dafür werden; noch ist manches ein Experiment. Gerade für die grenzüberschreitende Konfliktregulierung und die Streitbeilegung in weit verstreuten Teams wird die virtuelle Mediation auch nach dem Lockdown ausgesprochen attraktiv bleiben. Die Frage des Gerichtsstandorts und unterschiedlicher nationaler Gerichtsbarkeiten kann so lange außen vor bleiben, wie es gelingt, sich einvernehmlich zu verständigen. Neben den geringeren Kosten, der geringeren Umweltbelastung durch Reisen und der kürzeren Verfahrensdauer ist das ein wichtiges Argument für eine virtuelle Mediation.
Noch einen Vorteil gibt es: Mediation online ist diversitätsfreundlich. Wer Mediation diversity-gerecht gestalten möchte, wird schnell auf die Online-Variante kommen, wenn die Anreise wegen körperlicher Beeinträchtigungen nicht klappen würde oder wegen Aufenthalten in geschlossenen Einrichtungen oder bei Ausreiseverboten. Auch die „Begegnung auf Augenhöhe“, wie sie in der Mediation angestrebt wird, kann virtuell leichter fallen. Mediation online kann sogar als niedrigschwelliger erlebt werden. Wenn die Chefin nicht körperlich neben einem sitzt, sondern nur im Bildschirmfenster erscheint, kann manch einer leichter reden – jedenfalls ging es Ahmed so im Gespräch mit seiner etwas dominanten Chefin Isabell.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit „Streit online“ und mit virtueller Mediation? Schreiben Sie uns eine E‑Mail oder hinterlassen Sie uns einen Kommentar, was für Sie dabei wichtig ist.