Coaching einmal anders…
20. Juli 2010 von Sybil Dümchen
Lang ist es her, dass in Deutschland die ersten Artikel zum Coaching erschienen, so von Wolfgang Loos, der 1986 “Partner in dünner Luft” im Management Magazin publizierte und das Konzept des Einzel-Coachings für Top-Manager*innen vorstellte.
Heute gibt es Coaching-Literatur wie Sand am Meer und inzwischen ist der Begriff inflationär – man spricht neben dem Einzel-Coaching vom Teamcoaching oder sogar Organisationscoaching. Aber bleiben wir beim Einzelcoaching – denn für die anderen Interventionen gibt es brauchbarere Namen wie Team- oder Organisationsentwicklung.
Der*die Einzelne braucht zuweilen für Veränderungsprozesse eine persönliche Begleitung. Es kann sein, dass er*sie nicht weiß, wo er*sie anfangen soll mit der Veränderung oder dass der Fokus fehlt oder „alles schon versucht wurde“ oder die eigene Rolle konfus ist. Hier kann unter Umständen ein Coaching helfen, einen Anstoß zur Veränderung zu geben oder Klarheit zu schaffen. Und das in einem geschützten Rahmen – mit Diskretion und ohne Berichtspflicht, selbst wenn die Firma oder Institution das Coaching der Führungskraft bezahlt. denkmodell begleitet seit vielen Jahren Einzelpersonen in dieser Art und Weise und immer mehr Organisationen – Stiftungen, Gewerkschaften, EZ-Organisationen sowie Privatunternehmen und sogar größere NGOs – bieten ihren Führungskräften die Möglichkeit dieser regenerierenden und reflektierenden Auszeit.
Beim Coaching lässt sich die Führungskraft auf einen Prozess ein, „um etwas persönlich und beruflich Bedeutsames für sich zu klären, zu erlernen, zu besprechen, einzuüben, auszuwerten oder herauszufinden.“[1] Dabei wird durch angeleitete Selbstreflexion und Feedback der Coaches ein Perspektivenwechsel ermöglicht und es werden „blinde Flecken“ der Wahrnehmung bearbeitet. Der*die Gecoachte[2] entwickelt Optionen für sein Handeln, die in einen Entscheidungsprozeß münden, für den er selbst Verantwortung übernimmt.
Die Anlässe für ein Coaching können vielfältig sein:
- eine berufliche Neuorientierung – die Frage, „ob ich in dieser Organisation, in dieser Abteilung oder im Team bleiben oder besser gehen sollte“
- Karriere-Entwicklungen (Beförderungen oder Restrukturierungen)
- neue Aufgaben oder Herausforderungen (z.B. Begleitung der ersten 100 Tage als Führungskraft)
- Konflikte in der Organisation (mit dem*der Chef*in, dem Team oder im Handlungsfeld)
- konkrete Führungsfragen oder
- das Überdenken der „Work-Life-Balance“ (oft ausgehend von der Notwendigkeit der Bewältigung der täglichen Arbeitsbelastung oder dem Gefühl, im Privatleben „etwas zu versäumen“)
Soweit so gut oder gibt es doch neue Formen des Coaching?
Alle Coaching-Ansätze – ob systemisch oder lösungsorientiert – teilen im Großen und Ganzen die oben beschriebenen Grundsätze, zu dem vielleicht noch ein weiterer gehört: In der Regel arbeitet der Coach nur mit dem Einzel-Klient*innen und nicht gleichzeitig mit dem dazugehörigen Unternehmen, ja er kennt das Unternehmen in vielen Fällen gar nicht mal aus eigener Erfahrung. Zumindest verbietet es die Berufsethik z.B. gleichzeitig ein Team in Teamentwicklung oder Konfliktmanagement zu begleiten und den*die Teamchef*in parallel zu coachen. So kann die Allparteilichkeit der Coaches gewahrt bleiben, Spekulationen über Instrumentalisierung werden reduziert und die Beteiligten können selbst entscheiden, wieviel sie von ihrer Situation preisgeben möchten.
Natürlich kann es sinnvoll sein, Teamentwicklung und Coaching mit dem*derselben Berater*in nacheinander zu legen, so können aufgebautes Vertrauen und Kenntnis über das Kund*innensystems und Vertrautheit mit den Arbeitsmethoden des*der Coaches produktiv genutzt werden. Das setzt jedoch eine gewisse Transparenz über den Prozess voraus, sprich: ein Team sollte zumindest wissen, dass der*die Teambuilder*in, der*die da kommt, der*die frühere Coach der Führungskraft war. Das ist übrigens in meisten Fällen kein Problem – viele Teams sind froh, wenn ihre Leitung sich in schwierigen Situationen Unterstützung holt. Es sollte nur klar sein, dass das Team nun Klient ist.
In den letzten Jahren hat denkmodell jedoch des Öfteren gezielt das Prinzip der „Nicht-Gleichzeitigkeit“ von Coaching und anderen Beratungsinterventionen durchbrochen, und zwar in größeren Veränderungsprozessen. Will man einen „Tanker“ bewegen – also zum Beispiel die Organisation eines Ministeriums verändern, die Verwaltung der Nationalparks eines Landes verbessern, eine Kammer oder Stiftung weiterentwickeln oder die Abteilung eines großen Unternehmens effizienter gestalten – braucht man einen „effektiven Mix“ von Interventionen, um der Komplexität Rechnung zu tragen.
Nicht alle Beteiligten eines Veränderungsprozesses durchlaufen diesen mit derselben Geschwindigkeit, sie haben unterschiedliche Verantwortungen und Vorerfahrungen, sie haben verschiedene Verarbeitungs- und Umsetzungsfähigkeiten. Das „Verarbeiten“ des Neuen durch Einzelne kann bei komplexeren Veränderungsprozessen zu vielen „Stopps“ oder Umwegen des Veränderungsprojektes im Gesamtsystem führen, wenn nicht sogar zur Blockade.
Coaching der verantwortlichen Führungskräfte kann hier in einer begleitenden Schleife helfen, die Sorgen Einzelner aufzufangen, die neue Rollenfindung zu erleichtern und stärker zu reflektieren als es in Workshops möglich ist, unterschiedliche Rhythmen und Geschwindigkeiten anzupassen oder „delikate“ Themen anzusprechen. Welche Führungskraft spricht schon gern in großen Gruppen von seiner Angst des Versagens?
Die folgende Graphik zeigt, wie Coaching in einen größeren Veränderungsprozess integriert werden kann – dies ist natürlich nur ein Beispiel. Der Veränderungsprozess ist übrigens hier anhand der bekannten drei Phasen der Veränderung nach Kurt Lewin[3] strukturiert.
Was ist dabei zu beachten, wenn Coaching als Begleitmaßnahme bei komplexen Veränderungsprozessen eingesetzt wird?
- Auch hier sollte das Coaching freiwillig sein – keine Führungskraft sollte und kann dazu gezwungen werden, der Effekt wäre hinfällig. Es können zum Beispiel „Coaching-Voucher“ verteilt werden, die von der Führungskraft eingelöst werden können (so ist für die Unternehmensleitung nicht einsichtig, wer Coaching in Anspruch genommen hat und wer nicht, der*die Coach rechnet nur die „eingenommenen“ Voucher ab). Oder es werden Vorbesprechungstermine vereinbart, bei denen die Führungskraft die Arbeitsweise der Coaches kennenlernen und sich für oder gegen das Coaching entscheiden kann. Hier ist der Kreativität keine Grenze gesetzt.
- Der*die Coach darf keinen Auftrag von der Leitung akzeptieren, die Führungskräfte „glattzubürsten“. Er muss seine Unabhängigkeit wahren und darf sich nicht instrumentalisieren lassen. Die Hauptperson im Coaching ist die Führungskraft… Im Einzelfall kann es sinnvoll sein, dass die Funktionen des*der Coach und des*der Organisationsentwicklers*in von zwei unterschiedlichen Personen ausgefüllt werden.
Ob Coaching als Einzelmaßnahme oder im Rahmen von größeren Veränderungsprojekten – die Kraft und Wirkung, die davon ausgehen kann, ist wertvoll.
Verweise:
[1] Looss, Wolfgang (1997). Unter vier Augen. Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie.
[2] Für den gecoachten Menschen gibt es das schöne Wort „Coachee“.
[3] Das 3‑Phasen-Modell (auch englisch “resistance to change“ genannt) von Kurt Lewin (Resolving Social Conflicts, 1948, S. 44.) ist ein einfaches Modell zur Erklärung von sozialen Veränderungen und basiert im Kern auf der Abfolge von 3 Phasen:
- Auftauen (englisch Unfreezing) – für das Vorbereiten einer Veränderung.
- Bewegen (englisch Changing) – die Änderung wird durchgeführt. durch direktes Eingreifen der Verantwortlichen und evtl. durch Training verstärkt.
- Einfrieren (englisch Refreezing) – Die letzte Phase dient dem „Umgewöhnen“ der Gruppe, dem „Ankommen“ in dem veränderten Zustand. Der neue Prozess muss sich etablieren und natürlich „dazugehören“.