Der Mythos der „T‑förmigen“ Mitar­bei­ten­den

16. März 2015 von Dirk Jung
Foto eines gemalten Menschen, der die Schulter hebt.

Das „T‑Modell“ wurde ursprüng­lich von der Unter­neh­mens­be­ra­tung McKin­sey postu­liert. 2009 dann erklärte es Tim Brown, einer der Pioniere des Design Thin­king, allge­mein zum Ideal­pro­fil des moder­nen Desi­gners. Seit­her geis­tert der Begriff der „T‑förmigen“ Mitar­bei­ten­den („T‑shaped employees“) und Manager*innen durch die Perso­nal­ab­tei­lun­gen dieser Welt. Was verbirgt sich dahin­ter?

Der Buch­stabe T steht als Meta­pher für die Kombi­na­tion aus spezia­li­sier­tem Fach­wis­sen (senk­rech­ter Strich) und der Fähig­keit, mit ande­ren Wissens­be­rei­chen, Fach­ab­tei­lun­gen, Kunden­mi­lieus, u. ä. anschluss- und dialog­fä­hig zu sein (Quer­strich). Tim Brown deutet den Quer­bal­ken als Offen­heit für alle ande­ren Diszi­pli­nen, die vom Produkt­de­sign bis zum ferti­gen Produkt beherrscht bzw. inte­griert werden müssen – im „Design Thin­king“ setzt man bewusst auf inter­dis­zi­pli­näre Teams.

Beson­ders im Manage­ment wurde die Bedeu­tung der T‑Metapher seit­her immer mehr ausge­wei­tet. Heute subsum­miert man darun­ter nicht nur inter­dis­zi­pli­näre Fähig­kei­ten vonMit­ar­bei­ten­den, sondern auch deren Blick für das Gesamt­un­ter­neh­men und die Fähig­keit zum abtei­lungs­über­grei­fen­den Denken und Arbei­ten in flachen Hier­ar­chien. Bei der Neube­set­zung von Führungs­po­si­tio­nen wird nicht selten darüber gestrit­ten, wie kurz der senk­rechte Strich noch sein darf und wie lang der Längs­bal­ken sein muss. Gerade bei Führungs­per­sön­lich­kei­ten ist das Mitden­ken von Fähig­kei­ten, die über das rein Fach­li­che hinaus­ge­hen, ohne Zwei­fel bedeu­tend. Für das Verständ­nis von zentra­len Kompe­ten­zen, die für die erfolg­rei­che Umset­zung von Führungs­ver­ant­wor­tung wich­tig sind, ist das „T‑Modell“ daher sicher eine Errun­gen­schaft. Es birgt aber auch Risi­ken: Im schlech­tes­ten Fall verliert das Unter­neh­men dabei eine*n gute*n Spezialist*in und bekommt eine*n mäßige*n Generalist*in, der *die seiner*ihrer alten Fach­lich­keit nach­trau­ert.

Ein Modell allein hilft nicht weiter

Die Skeptiker*innen gegen­über dem „T‑Modell“ melden sich aber auch mit ande­ren Argu­men­ten zu Wort. So weisen sie zu recht darauf hin, dass „T‑förmige“ Mitarbeiter*innen nur dann ihre Talente entfal­ten können, wenn sie in ein entspre­chen­des Umfeld einge­bet­tet sind. Dazu gehö­ren unter ande­rem:

  • Eine Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur der Koope­ra­tion und geleb­ten Diver­si­tät ohne Anspruch darauf, dass jede*r alles wissen muss;
  • Wert­schät­zung der unter­schied­li­chen „T‑Formen“ unter den Mitarbeiter*innen;
  • geleb­ter Konsens darüber, dass die Spezialist*innen mit „kurzem Quer­bal­ken“ für die Orga­ni­sa­tion ebenso wert­voll sind wie Kolleg*innen mit sehr „langem Quer­bal­ken“ (Diver­si­tät von Fach­lich­kei­ten und Persön­lich­kei­ten);
  • wenn notwen­dig, Unter­stüt­zung von Mitarbeiter*innen mit wenig Fokus auf Fach­ex­per­tise bei Mobbing durch tech­ni­sche Spezialist/innen („…hat von nichts eine Ahnung, aber ist für alles zu gebrau­chen…“) und umge­kehrt.

Letzt­lich ist also auch das „T‑Modell“ keine bahn­bre­chend neue Erkennt­nis, sondern bestä­tigt einmal mehr, dass eine der zentra­len Führungs­auf­ga­ben darin liegt, alle Mitarbeitenden-„Fonts“ zu inte­grie­ren und entspre­chend ihrer Talente und Fähig­kei­ten einzu­set­zen und wert­zu­schät­zen – egal, ob es sich um Times New Roman, Arial oder Open Sans handelt.