Management von Post Merger Prozessen
20. Juli 2010 von Dirk Jung
Sobald die Tinte auf den unterzeichneten Fusionsverträgen trocken ist, beginnt die kritischste Phase jedes Merger Prozesses: die schrittweise Integration der beteiligten Organisationen. Dabei ist die Erfolgsbilanz bei Wirtschaftsunternehmen ernüchternd: die Misserfolgsraten werden in der Fachliteratur unisono mit 60–80% angegeben. Was läuft da schief? Was gilt es zu beachten?
Drei Fusionsmodelle
Merger ist nicht gleich Merger. Es ist hilfreich, zwischen drei Basisvarianten zu unterscheiden:
- Variante „Verschmelzung“: Wegen ähnlicher Strukturen und Leistungsprozesse der Transaktionspartner werden die alten Strukturen fast völlig aufgebrochen, neu geordnet und unter eine einheitliche Leitung gestellt (keine „Doppelspitzen“). Aus den alten Bereichen werden sog. Integrationsteams zusammengestellt, die in der Übergangsphase die notwendigen Anpassungsarbeiten übernehmen.
- Variante „Symbiose“: Hier gibt es weiterhin parallele Unternehmensbereiche, die autonom belassen werden und sich gegenseitig durch ihre Unterschiedlichkeit positiv ergänzen, aber auch solche, die integriert werden.
- Variante „Satellit“: Die ursprünglichen Strukturen bleiben weitgehend erhalten, da die Tätigkeitsbereiche der beteiligten Organisationen zu verschieden sind, um eine Zusammenführung zu rechtfertigen. Die Integration beschränkt sich weitgehend auf administrative Funktionen. Dort, wo besondere Charakteristika und Fähigkeiten der Integrationspartner erhalten werden sollen, sind oft sogar spezielle Maßnahmen der „boundary protection“ notwendig, z.B. Regelung von Kommunikationswegen, Abgrenzung von Zuständigkeiten, Schaffung eigener Rechtspersönlichkeiten, u.a.m.
Die wichtigsten „Baustellen“
Die folgende Graphik gibt einen Überblick über die wichtigsten Tätigkeitsfelder im Zuge einer Post Merger Integration. Sie beschreibt zugleich mögliche Aufgabenbereiche für eine organisationsentwicklerische Beratung.
Wir wollen die einzelnen Aufgabenbereiche hier nicht einzeln durchdeklinieren. Gleichwohl weist die Graphik auf drei wichtige Tatsachen hin:
- Das Management einer Post Merger Integration (PMI) hat sprichwörtlich „alle Hände voll zu tun“. Es handelt sich um eine in hohem Maße systemische Aufgabe.
- Da ein Merger naturgemäß von mehreren Partnern durchgeführt wird, markieren die einzelnen Boxen der obigen Graphik auch Verhandlungsorte und –themen des Integrationsprozesses, und damit zugleich auch mögliche Konfliktquellen.
Der Erfolg oder Misserfolg jedes Aufgabenbereichs hat unmittelbare Auswirkungen auf das Kosten-Nutzen Verhältnis des Merger Prozesses. Diesem Kriterium wird bei fusionierenden Wirtschaftsunternehmen meist höhere Aufmerksamkeit geschenkt als beim Merger von öffentlichen Institutionen, bei denen politische Vorgaben und eine gesicherte Finanzierung aus Steuergeldern das Kostenkriterium leicht in den Hintergrund treten lassen.
Sieben Gründe für das Scheitern
Woran liegt es also, dass ausgerechnet in der effizienten Wirtschaft die Mergerprozesse so häufig ihre Ziele nicht erreichen?
Die nachfolgende Liste beruht auf der empirischen Untersuchung von 115 großen Unternehmensfusionen (A.T. Kearney 1998). Sie nennt sieben der wichtigsten Gründe für das Scheitern von Mergerprozessen:
- Zu starke Konzentration auf bisherige Unternehmensstrukturen statt auf neue Geschäftsprozesse.
- Konkurrenz um leitende Positionen.
- Zielkonflikte zwischen neu zusammengelegten Unternehmensbereichen.
- Übergehen von Interessen der Mitarbeitenden.
- Missachten von Wechselwirkungen im Prozess der Integration.
- Langwierigkeit des Integrationszeitraums (Unterschätzung des notwendigen Zeitbedarfs).
- Mangelnder Respekt vor Details (Integrationskonzepte zu grob).
Prozessorganisation: Drei Phasen
Eine Post Merger Integration kann als Change Projekt verstanden werden, das aus drei Phasen besteht mit jeweils unterschiedlichen Aufgabenstellungen, Verantwortlichkeiten und Ressourcen-Erfordernissen:
Phase 1: Start-up
In dieser Phase wird die allgemeine Architektur der PMI-Organisation festgelegt (Ziele, Steuerung, Ebenen, Verantwortlichkeiten) sowie die Themen und Teams für die PMI-Projekte. Zum Beispiel im Fall der Daimler-Chrysler Fusion wurden 100 Themen definiert, die jeweils durch Transfer- bzw. Integrationsteams zu bearbeiten waren.
Phase 2: Projektumsetzung
Hier geht es um das Abarbeiten der PMI-Themen durch temporär zusammengestellte Teams kombiniert mit einer systematischen Erfolgskontrolle (Monitoring).
Phase 3: Business Transformation
Wie der Name schon sagt, werden in dieser Phase die Ergebnisse der PMI-Teams sukzessive in die Linienverantwortung übergeben und dann zum normalen Tagesgeschäft.
Soweit die Theorie. Eine zentrale Herausforderung im Prozessmanagement dieser Phasen besteht darin, dass die „Reifezeiten“ der unterschiedlichen PMI-Themen (und damit auch PMI-Teams) sehr unterschiedlich sind. Während also manche Integrationsteams recht zügig ihre Ergebnisse übergeben können und sich auflösen, haben andere Teams und Themen einen wesentlich höheren Zeitbedarf. Dies gilt insbesondere für die Bearbeitung von „harten“ Faktoren und „weichen“ Faktoren“.
Archillesferse „Weiche Faktoren“
Alle Experten sind sich darüber einig, dass allein die gleichzeitige Beachtung und Bearbeitung von „harten“ und „weichen“ Faktoren den Erfolg bringen kann. In der Praxis jedoch ist die Versuchung groß, die „harten“ Faktoren zunächst in den Mittelpunkt des Post Merger Prozesses zu rücken, da Themen wie z.B. Ziele, Strukturen, Verantwortlichkeiten, Rechtsformen oder Finanzen schneller und für alle sichtbarer abgearbeitet werden können als die „weichen Faktoren“. Zu letzteren gehören vor allem folgende fünf Felder:
- Organisationskultur: Werte, Normen, Glaubenssätze, Selbstverständnisse
- Mitarbeiter: Motivation, Kompetenzen, Verhalten, alte und neue Netzwerke
- Prozesse: Respektierung und Stabilität von neuen (formal definierten) Prozessen
- Commitments: Gelebte persönliche Unterstützung der neuen Strukturen durch Führungskräfte und Mitarbeiter
- Kommunikation: Transparente Kommunikation des Transferprozesses nach Innen und Außen.
Organisationskulturen in der Fusion: Lernen von Edgar Schein
„Wenn Sie sich dieses Auto anschauen, erkennen Sie genau,
wo bei uns die Abteilungsgrenzen verlaufen“
Mitarbeiter*in eines Autoherstellers zu einem*einer denkmodell-Trainer*in
Edgar Schein, einer der Begründer der Organisationsentwicklung, hat ein bis heute weltweit akzeptiertes 3‑Ebenen Modell geschaffen, das uns hilft, die besondere „Trägheit“ von Organisationskulturen im Rahmen von Merger-Prozessen zu verstehen.
Nach Schein zeigt sich die Kultur einer Organisation auf der obersten Ebene in künstlich geschaffenen Objekten und Verhaltensweisen (Artefakte). Hierzu zählt das, was sichtbar und/oder hörbar ist: z.B. Bürogestaltung, Visitenkarten, Begrüßungsformeln, Logos, Richtlinien.
Auf der zweiten Ebene liegen die kollektiven Werte der Organisationsmitglieder, beispielsweise die Einstellung zu Technik und zu den Kunden. Sie haben eine größere Relevanz für das Verhalten der Mitarbeiter als die ‚Artefakte“ aus der ersten Ebene.
Auf der dritten und tiefsten Ebene der Organisationskultur befinden sich die Grundannahmen der Organisationsmitglieder. Sie sind teilweise unbewusst, werden nicht diskutiert und gelten als langfristig konstante Auffassungen mit größtem Einfluss auf das Verhalten. Zu diesen “basic assumptions” zählen z.B. das Selbstbild der Organisation und ihre Beziehung zur Umwelt, die vorherrschenden Menschenbilder sowie die Basis der menschlichen Beziehungen. (Schein 1985)
Unsere Hypothese ist, dass diese 3 Ebenen der Organisationskultur zugleich auch die Rückzugs- und Verteidigungslinien markieren, die eine betroffene Organisation in einem Post Merger Prozess nacheinander durchschreitet und gegebenenfalls auch verteidigt. Schließlich geht es um die Verhinderung von Identitäts- und Kontrollverlust, einer der bedrohlichsten Dinge, die Individuen und Organisationen zustoßen können.
Mit anderen Worten, wenn eine fusionierende Organisation auf der Ebene der Artefakte bereits „voll integriert“ zu sein scheint (Türschilder, Visitenkarten…), ist es noch ein langer Weg, bis sich auch die zweite und dritte Ebene der Organisationskultur transformiert haben. Auf diesen Ebenen aber wird das tatsächliche Verhalten der Mitarbeiter determiniert, hier drohen die wirklichen Gefahren für einen Post Merger Prozess.
Wo bleibt das Positive?
Trotz ihrer recht hohen Misserfolgsquote gibt es bei Mergerprozessen auch Positives zu berichten und „good practices“, die man austauschen kann. Leider können wir an dieser Stelle nicht die „10 goldenen Regeln der erfolgreichen Post Merger Integration“ verkünden, aber es gibt eine Reihe von Erfolgsfaktoren, die in allen Studien und Analysen immer wieder auftauchen. Hier sind sie:
- Eine strategische Win-Win Situation für die beteiligten Partner
- Keine faulen Kompromisse bei den Fusionsverhandlungen
- Verträglichkeit der „weichen“ Faktoren, insbesondere der Organisationskulturen der beteiligten Partner
- Eine handhabbare Komplexität der Merger Organisation (zunächst Konzentration auf Kernthemen, dann erst die Folgeaufgaben)
- Schnelle Entscheidungen über Stellenneubesetzungen (Lähmungsphase kurz halten)
- Präzise Definition und Durchführung der einzelnen Integrationsprojekte
- Volle Transparenz bei der Steuerung des Post Merger Prozesses
- Schnelle und sichtbare Nutzung des Synergiepotentials
Mit wem auch immer Sie nun fusionieren wollen: Viel Glück dabei!
Verwendete und empfohlene Literatur
- Schein, Edgar H (1985), Organizational Culture and Leadership. A Dynamic View, San Francisco
- Grube, Rüdiger und Töpfer, Armin (2002), Post Merger Integration, Stuttgart
- Bauch, Clea (2004), Planung und Steuerung der Post Merger-Integration, Wiesbaden
- Kearney, A.T. (1998), Global PMI Survey, o.O.
- Jansen, Stefan (2000), Mergers & Acquisitions, Wiesbaden