Sind wir nicht alle ein bisschen agil?
14. April 2017 von Desiree Bösemüller
Immer häufiger erreichen uns Anfragen zur Einführung agiler Methoden in Organisationen und Abteilungen. In unsere letzten Blogbeiträgen von Dirk Jung und Anna Schulte haben wir uns dazu aus dem Blickwinkel eines Organisationsentwicklers geäußert. Wie aber sieht das im Einzelnen ganz praktisch aus? Mit einigen netten Anekdoten aus dem agilen Arbeitsalltag gewähren wir in diesem Blogbeitrag einige Einblicke, wie erste Schritte Richtung “mehr Agilität” aussehen können.
Auch wenn wir stets betonen, dass Agilität nicht überall und in jede Abteilung einziehen muss, so möchten wir doch denen, die neugierig sind und meinen, hier etwas sinnvolles Neues zu entdecken, ein paar Bedenken gegenüber dem Thema Agilität nehmen und dazu anregen, sich Methoden anzueignen, die auf die eigenen Bedürfnisse passen – und dabei Fehler zu machen und aus diesen zu lernen.
Stand-Up Meetings – Informationsbedarf
Stand-Up Meetings sind erstmal nur Meetings, bei denen die Teilnehmenden stehen – und da stehen auf Dauer eher unbequem ist, zeichnen sich Stand-Ups meist durch ihre zeitliche Kürze aus. Vielen sind diese Meetings allerdings als fester Bestandteilt von Teams, die nach Scrum arbeiten, bekannt. Jeden Tag zur selben Zeit treffen sich die Entwicklungsteams für maximal 15 Minuten und tauschen sich (stehend!) kurz und bündig dazu aus, was jede*r einzelne gestern erledigt hat, heute erledigen möchte und mit welchen aktuellen Schwierigkeiten er*sie konfrontiert ist. Das schafft Transparenz über den Projektfortschritt und führt zu einer geteilten Einschätzung, welche Aufgaben wieviel Zeit in der Bearbeitung beanspruchen.
Wir sprachen vor allem mit Start-Ups über Stand-Up Meetings. Oft hieß es dort: „Stand-Ups funktionierten bei uns anfangs überhaupt nicht.“ Gründe dafür waren u.a. zu viele beteiligte Leute, zu wenig wesentliche Informationen oder ein zu kleiner Raum. Die meisten Teams haben die Stand-Ups dennoch nach den ersten Fehlversuchen nicht gleich über Bord geworfen, sondern nachgeschliffen: Sie begrenzten die Personenzahl für das Meeting und einigten sich auf die Besprechung bestimmter Kernthemen. Besonders bei Teams, die Stand-Ups außerhalb von Scrum nutzen, hat es sich bewährt, die zu besprechenden Fragen auf die tatsächlichen Informationsbedarfe des Teams anzupassen.
Bei denkmodell selbst gibt es Stand-Ups in kleiner Runde von bis zu fünf Mitarbeiter*innen. Meistens handelt es sich um schnelle Brainstorming-Sessions mit einer vordefinierten Frage an der Kaffeebar. Kein starres Festhalten daran, was die „reine Lehre“ von Stand-Ups vorschreibst, sondern eine Anpassung an die praktischen Bedarfe des Teams.
„Agile Kommunikation“ – Wissensmanagement in der Testphase
Bei Agilität dreht sich alles um Transparenz, Wissensaustausch und eine funktionierende Lernkultur. Dafür ist eine gute Kommunikation unabdinglich. Am Anfang hieß das für viele kleinere Organisationen oft: Ich kann zu jederzeit meine Kollegen*innen ansprechen und mit Fragen löchern. Prima, wenn es wenige Mitarbeiter*innen sind und der Fragemodus zum Tagesgeschäft passt.
In manchen, besonders wachsenden, Organisationen sorgt das aber eher für Frust statt Lust. Wir haben unterschiedlichste Umgangsformen damit kennengelernt: spezifische Konzentrations- und Kommunikationsstunden; feste Teammeetings (ob Stand-Ups oder andere Kurztreffen á la Jour-Fixe, Chatverläufe, die mehr als 10 Zeilen überschreiten, müssen in einem persönlichen Gespräch bei einem Kaffee geklärt werden…). Als funktionierendes Kommunikationsmedium hat sich bei vielen Organisationen „slack“ herauskristallisiert. Hier empfiehlt sich ein erster Testdurchlauf, bevor man ein neues Kommunikationsmedium auf die gesamte Kollegenschaft loslässt.
Bei denkmodell durchlaufen wir solch einen Test ebenfalls. Bisheriges Ergebnis z.B. eine Anleitung zur Einstellung von „Push Nachrichten“ in slack an alle Kollegen*innen senden. Hier gilt: Mögliche Fehlerquellen durch ein frühes Testen und Rumprobieren mit den Kolleg*innen (v.a. den weniger IT-affinen) schnell erkennen und Abhilfe schaffen.
Der Kickertisch – ein Innovationsmotor?
Vorab schon mal der Hinweis: Ein Kickertisch (oder auch mehrere Kickertische) wird nicht Ihre Organisationskultur revolutionieren. In Unternehmen, die Innovationsberatungen anfragen, steht er oft (unbenutzt und leicht staubig) in einem Großraumbüro. Auf Nachfrage heißt es manchmal, er diene Repräsentationszwecken und soll die den Innovationswillen zur Schau stellen. Hier zeigt sich schön: Nur die Anwesenheit des Kickertischs alleine bringt keine Veränderung.
Wie nutzen Start-Ups den Kickertisch? Sie organisieren Kickertuniere oder richten spezielle Kickerpausen ein. Der Kickertisch steht an einem Ort, der als Pausenraum genutzt werden kann – arbeitende Kollegen*innen werden nicht durch das Spiel gestört. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, Zeit und Raum für informellen Austausch und Begegnung zu schaffen. Nicht verschweigen möchten wir:, Selbst Start-Ups geben zu, in den stressigsten Zeiten auf den Spielspaß zu verzichten.
Generell gilt: Für kreative oder innovative Arbeit sollte ein Raum nicht durchgestylt, sondern flexibel und auf die Bedarfe des Teams angepasst sein. Bei denkmodell haben wir keinen Kickertisch – dafür können Mitarbeiter*innen individuell einen Arbeitsstuhl wählen; auch mal im Stehen oder in einer “Kuschelecke” arbeiten.
Design Thinking Sprints – schnelle Ideenentwicklungen
Wäre es nicht wunderbar, wenn man für jedes Problem ein Team zusammenstellen könnte, das ein paar Wochen mit Design Thinking an Lösungsoptionen arbeitet? Eine schöne Vorstellung – doch bei weitem nicht Alltag in den meisten Organisationen. Der Ansatz gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln, verlangt viel Vertrauen und gegenseitige Offenheit, die noch nicht in jede Organisation eingezogen ist. Trägt Abteilung A wirklich etwas zur Lösung bei, wenn eine der Optionen ihr ggf. Kompetenz wegnehmen könnte? Hat Abteilungsleiter B ein echtes Interesse an der Lösung, wenn es bedeuten könnte, dass jemand aus seinem Team in ein anderes wechselt? Gibt es nicht doch unausgesprochene Hierarchien, die einer wirklich freien und kreativen Ideenentwicklung im Weg stehen?
Wie gelingt dennoch eine Lösungsentwicklung? Oft haben Einzelpersonen eine Idee und entwickeln einen ersten, eher „groben Prototypen“ – dieser wird dann vor dem Team präsentiert und erst dann wird gemeinsam weiterentwickelt. Selbst in agilen, lernfreudigen Start-Ups gibt es von vielen Mitarbeiter*innen den Wunsch, eine Idee erstmal „im Dunkeln“ allein zu entwickeln. Wichtig ist nur, dass Zeit für die Ideenentwicklungen zur Verfügung gestellt wird und es keine Ergebnisverpflichtung gibt. Und ebenfalls wichtig: Transparenz darüber, wer über die Ideen und den weiteren Umgang damit entscheidet. Ist es das Team oder die Leitung? Inkohärenzen können zu Missstimmungen und Demotivation führen.
Bei denkmodell heißt diese Zeit der Ideenentwicklung „Entwickler-Werkstatt“: Themen können eingebracht werden und zusammen oder allein werden dann bestimmte Ideen weitergesponnen. Auch die Geschäftsführung nimmt aktiv daran teil – so kann es direkt auch einen Cross-Check von „Wunsch“ und „Umsetzbarkeit“ geben. Neben diesen “Werkstätten” die eher 2‑Stunden-Charakter haben, gibt es nun auch einen “denktag” – einen Tag, machen, worauf man Lust hat – keine Ergebnispflicht, keine Kund*innentermine.
Planning Poker – Transparenz erhöhen
Mit dem Planning Poker kann in einem Team spielerisch Transparenz über Zeitaufwände für bestimmte Aufgaben geschaffen werden. Jede*r Spieler*in erhält Spielkarten mit Zahlen darauf. Die zu erledigenden Aufgaben werden vorgestellt, die Spieler*innen überlegen sich im Geheimen, wie viel Aufwand für die Bearbeitung der Aufgabe notwendig ist und wählen eine entsprechende Zahlen-Karte. Wenn jede*r Spieler*in eine Zahlen-Karte gewählt hat, wird bis drei gezählt und die Karten werden zeitgleich umgedreht. Im Anschluss daran entsteht eine Diskussion: Gibt es große Unterschiede in der Einschätzung? Wenn ja, warum? Als wir mit Software-Entwicklern gesprochen haben wurde stets positiv von der Methode berichtet, aber oft hieß es auch: Wenn das Team zu klein ist, reicht es auch aus, einfach miteinander zu reden. Jede Teilaufgabe durchzuspielen frisst einfach zu viel Zeit und bringt dann keinen Spaß mehr. In Teams, die etwas größer sind, sich gerade neu kennenlernen, wenig vertraut miteinander sind oder in Teams mit sehr dominanten und sehr introvertierten Teammitgliedern kann die Methode aber durchaus hilfreich sein.
Das alles sind nur Beispiele. Sie sollen deutlich machen, dass es aus unserer Sicht nicht empfehlenswert ist, Methoden 1:1 zu kopieren. Überlegen Sie stattdessen im Team : Welche Methode macht Sinn und welches Ziel verfolgen wir damit? Probieren Sie die Methoden aus, fördern Sie konstruktive Kritik und feilen Sie dann gemeinsam an der Anpassung der Methoden auf ihre eigenen Team-Bedürfnisse. So kann sich Schritt für Schritt mit der Etablierung von agilen Methoden auch ein agiles Mind-Set entwickeln. Aber Achtung: Trägt die Leitungsebene das nicht mit, können selbst die besten Methoden nur scheitern!