Weltcafé beim Deutschen Evangelischen Kirchentag
21. Mai 2009 von Sybil Dümchen
„Weltcafés“ sind seit einigen Jahren beliebt als dynamische Veranstaltungsform für größere Gruppen und basieren auf Dialog, Begegnung, Selbstorganisation und Mobilisierung vorhandener Ressourcen. Tragende Grundgedanken der Methode sind, dass Menschen das Wissen und die Kompetenzen für die Lösung von Problemen in sich tragen und in einem Raum des Austauschs eine Gruppe mehr leisten kann als es ein Einzelner könnte.
Für ein Weltcafé nehme man: Tische mit Papiertischdecken an denen 5–8 Personen Platz finden sowie eine*n Gastgeber*in pro Tisch.
Das Prinzip dabei ist, dass Menschen wie in einem Café am Tisch ungezwungen zusammenkommen, um eine vorgegebene Frage oder ein Thema zu diskutieren. Sie wechseln dann 2–3 mal den Tisch und
somit ihre Gesprächspartner*innen und Perspektive. Ein*e Gastgeber*in verweilt meist die gesamte Zeit am selben Tisch, um die jeweils nächste Gruppe zu Thema und Diskussionsstand ins Bild zu setzen und das Gespräch zu führen. Visualisiert werden die Gesprächsergebnisse nacheinander von allen Gruppen eines Tisches möglichst kreativ auf derselben Papiertischdecke (oder einem dazu umfunktionierten Flipchart). So entsteht ein lebendes Dokument der Diskussion, das hinterher weiterverarbeitet oder auch nur ausgestellt werden kann. Diese Grundelemente eines Weltcafés können natürlich vielfältig variiert werden.
Auch der diesjährige Deutsche Evangelische Kirchentag, der vom 20. bis 24. Mai 2009 in Bremen stattfand, hat als eine von über 2000 Veranstaltungen ein Weltcafé angeboten. Die Moderator*innen von denkmodell – Michael Zillich und Jutta Bangel – haben das Weltcafé, das hier „Reflexionscafé“ oder auch „Tischgespräch“ genannt wurde, an zwei Tagen jeweils 3 Stunden in den historisch-imposanten Räumen des Rathaussaals moderiert, mit 250 und ca. 280 Teilnehmenden.
Die Anzahl der Teilnehmenden war schon an sich eine moderative und logistische Herausforderung – das Thema “Israel-Palästina. Und wir?” war es ebenfalls. Das Anliegen des Projektleitungsteams war, mit dem Weltcafé Reflexion und Austausch darüber anzustoßen, was Christ*innen selbst motiviert, sich mit der Situation in Israel-Palästina zu befassen, welche Bilder sie dazu in sich tragen und woher diese stammen. Zu fragen, welche selbst gesetzten Grenzen die Beschäftigung mit Israel-Palästina beeinflussen und wie diese Grenzen eventuell erweitert werden könnten.
Dabei sollten möglichst nicht noch einmal die alten Muster zum Thema Israel und Palästina aktiviert werden wie in früheren Veranstaltungen, die meist als Podiumsdiskussionen eine eher konfrontative Form annahmen. Es ging ebenso wenig darum, anderen Ratschläge zu geben, was “man” dort tun müsse.…
Die Fokussierung auf das eigentliche Anliegen war insbesondere am zweiten Tag zu spüren. Hier unterstützte die Anmoderation die Teilnehmenden darin, die reflexive Haltung einzunehmen und auch die Gruppenzusammensetzung half, die Themen aus verschiedenen Perspektiven diskutieren zu können – die Altersspanne reichte von etwa 14 bis ca. 80 Jahren. Wie etliche Teilnehmende berichteten, waren die Gespräche daher sehr lebhaft.
Es wurde jeweils parallel mit drei Fragen in drei Gesprächsrunden diskutiert, wobei fast alle Teilnehmenden sich mit allen drei Fragen in unterschiedlicher Reihenfolge befasst haben:
- Was bewegt mich zur Auseinandersetzung mit Israel-Palästina?
- Was prägt mein Bild von Israel-Palästina, und wie könnte es aus anderer Perspektive aussehen?
- Wo setze ich persönlich Grenzen in der Beschäftigung mit Israel-Palästina?
Vier Expert*innen – aus Palästina, Israel und Deutschland – gingen als “Schmetterlinge” in ihrem eigenen Rhythmus von Tisch zu Tisch, sammelten subjektiv Eindrücke von den Tischgesprächen und spiegelten nach den drei Gesprächsrunden im Abschlussplenum ihre Beobachtungen an die Teilnehmenden zurück.
Ein sehr sinnliches und strukturierendes Element während des Weltcafés war die Musik. Ein Cellist spielte jeweils zu Beginn einer Gesprächsrunde für wenige Minuten und die Mitglieder der Tischrunden hatten schweigend die Möglichkeit, miteinander per Blick zu kommunizieren oder zu lesen, was bereits auf dem Tischplakat stand, nachzudenken oder bereits eigene Gedanken zu visualisieren. Sobald das Cello verstummte, begann der verbale Austausch.
Die beiden Moderator*innen waren beeindruckt von der Zusammenarbeit des gesamten Teams. Phänomenal war die Unterstützung der freiwilligen Helfer*innen. Die Teilnehmenden ließen sich auf die Leitfragen ein, tauschten sich intensiv miteinander aus. Viele Gesprächsteilnehmende kamen nach der Veranstaltung auf die Moderator*innen zu, um zu danken und zu betonen, wie wichtig diese Veranstaltung war, wie wichtig es war, zu reflektieren und so viele ihnen bisher fremde Menschen zum Austausch zu treffen.
Wie so oft bei Moderationen war die meiste Arbeit schon vor der Veranstaltung geleistet worden. Das Projektteam hat sich intensiv – erst allein und dann mit den Moderator*innen – inhaltlich auseinandergesetzt und logistisch vorbereitet. So konnten sich dann einige Mitglieder des Projektteams während der Veranstaltung beruhigt auf ihre Rolle als Tischgastgeber*innen einlassen. Und die Veranstalter*innen? Sie waren – trotz anfänglicher Bedenken über die Offenheit des Weltcafés – froh, diese Veranstaltungsform gewählt zu haben.
Weitere Infos gefällig? Interessiert?
Juanita Brown, David Isaacs: Das World Café. Kreative Zukunftsgestaltung in Organisationen und Gesellschaft. Mit einem Vorwort von Peter Senge, Carl Auer Verlag, 2007, ISBN 978−3−89670−588−4