Arbeiten in virtuellen Teams
4. März 2016 von Britta Dube
Ein Büro in Berlin, ein*e Mitarbeiter*in im Homeoffice in Lübeck, ein*e dezentral arbeitende*r Kund*ib in Kopenhagen, dazu freie Mitarbeiter*innen, die sich gerade in Jordanien, Indien und im Kongo aufhalten. Gemeinsames Ziel: Ein Konzept erarbeiten und mit Ansprechpartner*innen aus vier Ländern abstimmen. Klingt aufwendig, chaotisch und nur durch Zauberhand zu lösen? Aufwändig? Ist es meist, wenn gemeinsam konzeptuell gearbeitet wird. Chaotisch? Nicht notwendigerweise. Zauberei? Nur, wenn definierte Prozesse, eine realistische Terminplanung und virtuelle Kommunikationsmedien wie E‑Mail, Doodle, Trello, Skype und File-Sharing als Wunderwerkzeug gelten.
Welche Medien braucht ein virtuelles Team?
Virtuelle Kooperation in ihrer heutigen Form ist erst seit der Digitalisierung möglich. Doch auch Mailverkehr innerhalb von Teams und Gruppen kann aufwändig, chaotisch und verwirrend sein. Besonders seit der weitgehend flächendeckenden Verfügbarkeit von stabilen Breitband-Internetverbindungen können ergänzend Audio- und Videoconferencing-Tools, Dateiaustausch-Dienste und Groupware-Lösungen genutzt werden. Aber eine unüberschaubare Vielzahl technischer Möglichkeiten garantiert noch lange keine reibungslose Zusammenarbeit!
Drei Dinge müssen zusammenkommen, damit virtuelle Teams Technik erfolgreich nutzen statt an ihr zu scheitern – oder besser gesagt an den typischen Konflikten, die leicht bei einer überwiegend virtuellen Kommunikation entstehen. Was also braucht es, um erfolgreich in virtuellen Teams zusammen zu arbeiten?
Drei Erfolgsfaktoren virtueller Zusammenarbeit
1. Medien nutzen können
Erst einmal gilt: Eine grundlegende Medienkompetenz ist für alle Mitglieder virtueller Teams unumgänglich. Damit ist nicht alleine das reine „Bedienen können“ der Systeme gemeint, sondern auch die Fähigkeit, kleinere technische Probleme selbst zu lösen. Die Kollegin vom Schreibtisch gegenüber, die eben mal schaut, warum die Audio-Funktion bei der Konferenz nicht funktioniert, ist – je nach Arbeitsplatz – nicht immer greifbar. Und wie ich File-Sharing-Programme dazu bekomme, den Teammitgliedern die gewünschten Zugriffsrechte zu erteilen, fordert manchmal ebenfalls die IT-Lösungskompetenz der Nutzer/innen heraus. Nicht zu vergessen: Eine gewisse Tippgeschwindigkeit und einiges Formuliergeschick sind bei häufigem Mailaustausch und Konferenzen mit Chatfunktion unumgänglich – denn die virtuelle Zusammenarbeit beruht – viel stärker als in herkömmlichen Teams – auf dem geschriebenen und weniger auf dem gesprochenen Wort.
2. Die richtigen Medien auswählen
Virtuelle Teams sollten sich auf einige Tools einigen,die sie in ihrer Zusammenarbeit nutzen möchten. Mail und Smartphone alleine sind meist nicht ausreichend. Häufig braucht es ergänzend eine Anwendung für Online-Meetings (Audio/Video-Konferenzen), ein File-Sharing-System und geteilte/transparente Kalender oder Tools zur Terminabstimmung. Über Messenger-Systeme lässt sich ggf. jedes Teammitglied eben mal kurz kontaktieren. Auch Task-Management kann auf einer gemeinsamen Plattform sinnvoll abgestimmt werden. Hier ist es im ersten Schritt wichtig zu vereinbaren, welche Tools für welchen Zweck genutzt werden um zu vermeiden, dass „Unter-Teams“ entstehen, die unterschiedliche Medien gebrauchen.
Neben der reinen Terminkoordination und dem Informationsfluss gibt es jedoch auch Anliegen, bei denen nicht auf den ersten Blick klar ist, welches Medium sich zur Nutzung eignet.
- Wie teile ich am besten kritische Rückmeldungen zu einem Zwischenergebnis mit?
- Wie organisieren wir im Team ein Brainstorming, um möglichst viele neue Ideen zu generieren?
- Wie kommen wir zu strategischen Entscheidungen?
- Wie können kurze Rückfragen rasch geklärt werden?
- Und wo und wann gibt es Raum für das informelle Miteinander?
Klingt banal und einfach? Auf den ersten Blick vielleicht. Aber durch die falsche Medienwahl gehen Ressourcen verloren und bauen sich schlimmstenfalls Konflikte auf. Daher ist es wichtig, typische Fallen und potentielle Konflikte virtueller Kommunikation zu kennen. Das führt uns zum dritten Erfolgsfaktor für virtuelle Zusammenarbeit:
3. Medieneffekte kennen
Im Vergleich zur traditionellen Präsenz-Kooperation muss sich die virtuelle Zusammenarbeit mit einem stärkeren Filtereffekt auseinandersetzen: Nicht alles, was ich sagen möchte, kommt bei dem/den anderen an! Dies gilt natürlich für jegliche zwischenmenschliche Kommunikation – Video-Konferenzen, Telefonate und Emailkommunikation verstärken diesen Effekt jedoch erheblich. Denn es ist schwieriger, in einem 14-Zoll Bildausschnitt (oder sogar auf dem Smartphone), Körpersprache und Mimik meiner Gesprächspartner*innen zu deuten. Am Telefon bleibt nur die Stimme – und in Dokumenten und Mails der reine Text. Zwischentöne, Graustufen und Stimmungen werden wenig oder gar nicht transportiert. Sind die anderen nun von meinen Vorschlägen überzeugt oder ist es nur ein vages Abnicken aus Mangel an Zeit, Aufmerksamkeit oder Alternativen? Haben wir uns wirklich auf das Gleiche verständigt, oder gehen unsere inneren Bilder stark auseinander? Ist Teammitglied xy von meinem kritischen Feedback getroffen oder versteht er*sie meinen Kommentar als konstruktiven Beitrag? (…)
Für virtuelle Kommunikation gilt daher noch stärker als ohnehin immer: Explizit nachfragen, Eindeutigkeit schaffen, das Gehörte wiederholen! Hier kann es häufig helfen, Gesprächs- und Ergebnisprotokolle einzuführen.
Ärgernis-Falle Email
E‑Mails gehören in allen Teams zum Berufsalltag. In virtuellen Teams prägen sie die Zusammenarbeit in besonderem Maß. E‑Mails erreichen meist in Sekunden die Empfänger, so dass sich sogar ein fast gesprächsartiges Ping-Pong entwickeln kann. Dennoch bleiben E‑Mails ein asynchrones Medium und sind trotz schneller Reaktionszeiten eine Einbahnstraßenkommunikation: Während des Schreibens kann ich – anders als in einem Gespräch – die Reaktion meines Gegenübers nicht erkennen und entsprechend darauf reagieren.
Virtuelle Teams müssen dennoch größtenteils mit geschriebener Kommunikation auskommen. Einige einfache Merksätze* helfen bei einem konstruktiven Umgang mit Mails:
- Schreiben Sie keine E‑Mails, die länger sind als eine Bildschirmhöhe. Formulieren Sie explizit, was Sie von dem*der Empfänger*in erwarten.
- In der Öffentlichkeit (cc) loben, unter vier Augen kritisieren.
- Schreiben Sie E‑Mails nicht klar und deutlich, sondern überklar und überdeutlich.
- Ironie, Zynismus und Sarkasmus sind in E‑Mails tabu.
- Tippen Sie nie eine E‑Mail im Affekt. (Ausnahme: positives Feedback gerne sofort!)
- Wenn Sie eine E‑Mail mit wichtigen Anhängen bekommen, bestätigen Sie den Empfang.
Und zum Abschluss der wohl wichtigste Merksatz: Bad News immer nur persönlich oder telefonisch!
Klare Prozesse
Arbeitsabläufe in Teams definieren sich zum einen über Zielsetzung und Aufgabenteilung. Zugleich existieren jedoch immer auch eingespielte (und häufig unausgesprochene) Gepflogenheiten des Miteinanders im Arbeitsalltag.
So wie auch in der Kommunikation gilt für Arbeitsprozesse in virtuellen Teams: Machen Sie so explizit wie möglich, wie bestimmte Arbeitsprozesse ablaufen sollen. Dazu braucht es Antworten auf Fragen wie:
- Wie läuft bei uns die Abnahme/Freigabe von Endergebnissen ab?
- Wie und wo kann ich Unterstützung und Feedback bekommen?
- Wie gestalten wir Feedbackschleifen zu einem Zwischenergebnis: Wer gibt in welchem Zeitraum Rückmeldung? Wie werden diese Rückmeldungen abgelegt/diskutiert/ eingearbeitet?
- Was ist zu tun, wenn vereinbarte Termine nicht gehalten werden?
- In welchem Rahmen können wir über unsere Teamzusammenarbeit zu sprechen und Vereinbarungen zu treffen?
Es bewährt sich, auch scheinbar banale Dinge explizit zu regeln:
- In welchem Zeitraum reagieren wir auf E‑Mails (z.B. 24 oder 48 Std.)?
- Wann ist wer erreichbar – und über welche Kanäle?
- Wie kann ich die Erreichbarkeit der einzelnen Mitglieder erkennen?
- Gibt es Kernzeiten/Tage, zu denen jedes Teammitglied erreichbar sein sollte?
- Welche Kommunikationsmedien wählen wir für welchen Zweck?
- Wann ist eine Mailkopie an alle Beteiligten sinnvoll? Wann nicht?
- Wie gehen wir mit „multiplen Teammitgliedschaften“ um (wenn ein Teammitglied zu einem bestimmten Prozentteil für andere Projekte arbeitet)?
Und das war’s? Medienkompetenz und klare Absprachen sorgen für eine reibungslose virtuelle Zusammenarbeit und Prozesse? Leider nein. Menschliche Interaktion ist sehr viel komplexer. Wie gut, dass es etwas gibt, dass die Komplexität menschlicher Interaktion und Kommunikation vereinfacht:
Vertrauen
Vertrauen gilt als „Schmiermittel der menschlichen Zusammenarbeit“ – denn es erspart viel Kopfzerbrechen und Mühe, wenn ich mich auf das Wort anderer Teammitglieder verlassen kann und eine positive Grundhaltung einnehme („Das bekommen wir hin, das wird schon klappen!“).
Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann bezeichnet Vertrauen „als Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“** und meint damit: In komplexen Zusammenhängen können wir nie alle Handlungsoptionen durchspielen und haben immer nur unvollständige Informationen zur Verfügung. Vertrauen reduziert Komplexität, denn es entlastet z. B. die Teamleitung in ihrer Controlling-Funktion, wenn sie sich auf die Aussage eines Teammitglieds verlässt und diese nicht noch in zwei Schleifen überprüft. Das führt zudem dazu, dass Teammitglieder ambitioniertere oder innovativere Lösungen erarbeiten, weil sie das Vertrauen in ihre Arbeit spüren. Misstrauen dagegen ist ein (leider) typischer Bremsklotz fruchtbarer Teamarbeit.
Wie aber entsteht Vertrauen, wenn virtuelle Zusammenarbeit doch leicht bewirkt, dass die Kommunikation entlang der Projektlogik verläuft: Wo stehen wir? Was ist erledigt? Was fehlt? Was sind die nächsten Schritte? Explizit, eindeutig und kurz formuliert, um Missverständnisse zu vermeiden gibt es eine scheinbar effiziente Form der Kommunikation. Aber eben auch eine sehr reduzierte: Zwischentöne, Graustufe, informelles Miteinander und der Austausch von Geschichten am Rande (oder jenseits) des Projektkontextes finden in virtuellen Teams wenig oder gar kein Raum. Aber genau hier entsteht Vertrauen – werden Missverständnisse ausgeräumt, Ärger aufgelöst und ein Gefühl von Zusammenhalt aufgebaut.
Vertrauensbildung in virtuellen Teams
Um Vertrauen zu bilden, brauchen auch virtuelle Teams die Gelegenheit zu ungeplantem Miteinander. Sonst kann es schnell passieren, dass sich ein gegenseitiges Misstrauen aufbaut: „Die spinnen doch, die aus xy, die verstehen überhaupt nicht, was für uns hier vor Ort wichtig ist!“ oder „Total absurd, mit welchen Anforderungen wir hier konfrontiert werden, das ist doch völlig unrealistisch!“
Wenn in solchen Momenten die Gelegenheit fehlt, negative „Mindsets“ durch informelles Miteinander zu korrigieren, folgt eine stetig wachsende Flut an Mails – Schuldige werden gesucht, Schubladendenken setzt sich immer fester. Wenn es schlecht läuft, gehen die Mails mit einer Spirale stetig schärfer werdender Formulierungen einher, deren Eskalation manchmal schwer einzufangen ist. Wenn es besser läuft, folgen auf das Misstrauen höhere Anforderungen an Dokumentationsprozesse, immer längere Texte zur Rechtfertigung des eigenen Handelns und eine stringente Abarbeitung der Aufgaben nach „Schema F“. Scheinbar funktioniert die virtuelle Teamarbeit. Aber bei dieser Arbeitsweise verwundert es nicht, wenn ein virtuelles Team deutlich schwächere Leistungen erbringt, als ein herkömmliches Team: Der Fokus auf Fehlervermeidung, Planeinhaltung und Sich-Absichern nach allen Seiten lässt keinen Raum für Kreativität, Innovation, Freude am Experimentieren und herausragende Leistungen.
Wie aber schaffe ich ungeplantes Miteinander und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in virtuellen Teams? Auch hier gibt es ein paar „goldene Regeln“, die helfen können:
- Organisieren Sie, wenn irgend möglich, in regelmäßigen Abständen Präsenztreffen mit ausreichend Raum für informelle Gespräche.
- Schaffen Sie auch in virtuellen Meetings Raum für informellen Austausch. Die ehrlich gemeinte Frage der Teamleitung: „Wie geht es euch, was beschäftigt euch gerade?“ kann gut und gerne die ersten 15–20 Minuten beanspruchen und ist sicherlich keine Zeitverschwendung!
- Kommunizieren Sie wertschätzend und reflektiert („Wie wirkt das, was sich gesagt habe? Kann es ggf. missverstanden werden?“). Die Teamleitung setzt Standards für die Teammitglieder und hat Vorbildcharakter.
- Vertrauen Sie Ihren Teammitgliedern: Ein Vertrauensvorschuss in die Kompetenz und Leistungsbereitschaft nimmt Unsicherheit und motiviert.
- Sprechen Sie Unstimmigkeiten direkt an und machen Sie Kommunikation im Team zum expliziten Thema: „Wie ist unsere Kommunikation? Was läuft gut und was sollten wir ändern?“
Was einfach klingen mag, ist im Alltag sicherlich immer wieder neu herausfordernd. Dennoch gehören virtuelle Teams bei vielen unserer Kunden und auch in unserem eigenen Beratungsalltag zur Normalität. Mehr zu unseren Angebot zum virtuellen Arbeiten finden Sie hier.
* Angelehnt an das Kapitel „Die E‑Mail-Falle“ in Thomas (2014): 224ff
** Luhmann, Niklas: Vertrauen – ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Enke, Stuttgart 1968