Fehler­kul­tur: Die Angst vor dem Schei­tern.

20. April 2017 von Desiree Bösemüller

Kalte, schwit­zige Hände, ein Schwei­gen, der gesenkte oder einge­zo­gene Kopf – physi­sche Anzei­chen dafür, dass wir einen Fehler gemacht haben und nun unter Stress stehen, weil wir dies nun der Chefin, dem Kunden oder im Kolle­gen­kreis offen­ba­ren müssen. Wir wissen es alle: Wir sind mensch­lich, Fehler passie­ren und dennoch –  die Angst davor lähmt uns häufig schon im Tun und die Gewiss­heit, einen Fehler gemacht zu haben, versetzt uns in Stress.

Viele von uns stre­ben nach Perfek­tio­nis­mus, der treibt an und quält zugleich. Der eigene Leis­tungs­druck macht uns müde und über­for­dert nicht selten. Doch lohnt der Stress?

Ein Ruf wird laut: „Neue Fehler­kul­tur bitte!”

Graphik eines Stempels Failed

Perfek­tio­nis­mus treibt nicht nur Indi­vi­duen an, auch Orga­ni­sa­tio­nen stre­ben danach. Zugleich versu­chen Orga­ni­sa­tio­nen immer häufi­ger, möglichst inno­va­tiv zu sein und etwas zu wagen. Wie aber geht das zusam­men? Perfek­tio­nis­mus und Inno­va­tion sind fast schon Kontra­hen­ten. Sie strei­ten sich um die Gunst der Orga­ni­sa­tio­nen. Dabei brau­chen Orga­ni­sa­tio­nen beides, jeweils an der passen­den Stelle: Perfek­tion wird für die korrekte Einhal­tung rund um Admi­nis­tra­ti­ves gebraucht, Zahlen müssen stim­men, Prozesse und Struk­tu­ren reibungs­frei laufen. Wo aller­dings Inno­va­tio­nen entste­hen sollen, braucht es Fehler, konstruk­ti­ves Feed­back und die Möglich­keit zu schei­tern. Hier wird er derzeit sehr laut: Der Ruf nach einer neuen Fehler­kul­tur. Diese neue Kultur fordert, Fehler als posi­tive, wert­volle Lern­erfah­run­gen zu verste­hen und entspre­chend zu nutzen. Wie schon eines der berühm­ten Zitate von Samuel Beckett sagt: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.”

Diese Unter­schei­dung ließe also folgern: „Prima, machen wir Fehler in Inno­va­ti­ons­pro­zesse, und blei­ben wir beim bewähr­ten Perfek­tio­nis­mus, wenn es ums Tages­ge­schäft geht.“ Aber ist das tatsäch­lich so einfach? Kann beides so problem­los neben­ein­an­der in eine Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur inte­griert werden? Nein: Einfach ist es sicher­lich nicht. Und ja: Es geht und kann funk­tio­nie­ren. Dafür ist aller­dings eine neue Haltung Fehlern gegen­über gefragt.

Doch wie gelingt der Weg hin zu einer neuen Fehler­kul­tur in Orga­ni­sa­tio­nen?

Unbe­strit­ten: In unse­ren alltäg­li­chen Arbeits­rou­ti­nen soll­ten uns nicht stän­dig – ob durch Unacht­sam­keit oder fehlende Detail­liebe – Fehler unter­lau­fen.  Natür­lich stre­ben wir nach „fehler­freien und reibungs­lo­sen Abläu­fen und Routi­nen“. Und dennoch: Irren ist mensch­lich und alleine die Umdeu­tung eines „Fehlers“ in einen „Irrtum“ kann oft schon helfen. „Ich habe einen Fehler gemacht“ – das klingt nach „Ich bin schuld.“ „Hier habe ich mich geirrt“ hinge­gen klingt schon viel eher nach „Wie kann ich es beim nächs­ten Mal besser machen“. Oder?

Eine neue Haltung Fehlern gegen­über zu entwi­ckeln geht nicht von einem Tag auf den ande­ren. Oft braucht es einen Anstoß. Und: Es geht nicht ohne die Führungs­kräfte.

  1. Keine Schuld­zu­wei­sun­gen – Vor allem ist es wich­tig, weg vom Finger­zeig auf andere, weg von der Suche nach dem/der Schul­di­gen zu kommen. In erster Linie sollte also nicht nach einem „Wer?“ sondern nach einem „Was?“ gefragt werden und mit der Suche nach konstruk­ti­ven Lern­erfah­run­gen begon­nen werden.
  2. Räume schaf­fen – Eine Führungs­kraft muss hier nicht selbst mit dem Fehler machen oder dem „Inno­vie­ren“ begin­nen, aber sie sollte Team­mit­glie­der aktiv dazu auffor­dern und Räume dafür schaf­fen (siehe Schritt 2).
  3. Entwick­lung von Trans­pa­renz & Selbst­kri­tik – Eine Führungs­kraft kann dies aktiv vorle­ben und eigene Lern­erfah­run­gen schil­dern. Natür­lich ist dies leich­ter gesagt als getan! Am Anfang reichen viel­leicht kleine Irrtü­mern, witzige Geschich­ten und Malheure, so kann Vertrauen schritt­weise aufge­baut werden.

Die Führungs­kräfte soll­ten die neue Haltung also aktiv vorle­ben. Eine selbst­kri­ti­sche Haltung, ein offe­ner Umgang mit Fehlern bzw. Irrtü­mern und die Suche nach konstruk­ti­ven Lern­erfah­run­gen soll­ten dabei im Fokus stehen.

Metho­den für eine neue Fehler­kul­tur

Und wie also kann es begin­nen? Bei Inno­va­ti­ons­work­shops versu­chen wir insbe­son­dere die konstruk­tive Kritik und das Konzept „auf Ideen ande­rer aufzu­bauen“ durch ein einfa­ches Warm-up einzu­üben: Die Teil­neh­men­den stehen in einem Kreis und sollen gemein­sam ihre nächste gemein­same Reise planen. In der ersten Runde dürfen sie nur mit „Nein, aber…“ auf die Vorschläge ihres Vordermanns/frau reagie­ren; z.B. „Wir planen unsere Reise, wir fahren nach Russ­land.“ „Nein, Russ­land ist zu kalt, lass uns nach Grie­chen­land.“ Danach gibt es eine weitere Runde, in welcher auf die Vorschläge nur mit „Ja und…“ reagiert werden darf; z.B. „Wir fahren nach Russ­land“. „Ja, wunder­bar – wir fahren mit dem Zug“. Probie­ren Sie es mal aus – einfach aber in der Wirkung dennoch häufig erstaun­lich, welchen Unter­schied es macht, auf den Ideen ande­rer aufzu­bauen, statt sie erst einmal zu verbes­sern oder zu verwer­fen, denn im Ergeb­nis kommt bei der „Ja und…“-Runde tatsäch­lich eine Reise und eine gemein­same Geschichte, die verbin­den­den Charak­ter hat, zustande und die Ener­gie im Raum ist eupho­risch.

Bei denk­mo­dell versu­chen wir einen bewuss­ten Umgang mit Irrtü­mern im Kolle­gen­kreis zu üben:  Im Erfah­rungs­aus­tausch, bei Jahres­rück­bli­cken u.a. erzählt jede/r die beste „Schei­ter-Geschichte“. Innere Über­schrift: „Wo habe ich rück­bli­ckend etwas falsch gemacht und was habe ich daraus gelernt?“ Schei­tern wird im Team geteilt – und alle können daraus lernen. Dabei entsteht schnell eine Stim­mung, in der Jede/r „die beste Fehler-Geschichte“ erzäh­len möchte. So kann irren mit Freude geteilt werden. Viele Start-ups machen soge­nannte „Fuckup-Nights“  oder verge­ben „Best Fail Awards“. Die Engi­neers without Borders gehen noch einen Schritt weiter und veröf­fent­li­chen einen Fail­ure Report, um deut­lich zu machen: Fehler sind will­kom­mene Lern­erfah­run­gen.

Verste­hen Sie uns bitte nicht falsch: Die eige­nen Fehler einzu­ge­ste­hen, ist nicht immer einfach und auch nicht immer witzig, aber es ist in jedem Fall hilf­reich, um als Team und als Orga­ni­sa­tion zu lernen und sich letzt­lich weiter zu entwi­ckeln. Auch wir Bera­tende müssen dem eige­nen Schei­tern ins Gesicht sehen – dass auch uns das nicht immer einfach fällt und welche Ratschläge wir beher­zi­gen soll­ten, können Sie hier noch­mal nach­le­sen.