„Es geht erstmal ums Verlernen“
19. September 2022 von Kirsten Mieves
Anna Schulte und Marcus Quinlivan leiten die „Ausbildung Beratung und Organisationsentwicklung“ bei denkmodell. Im Interview erzählen sie, was ein*e Organisationsentwickler*in macht, warum die Ausbildung bei denkmodell besonders ist und was man damit alles werden kann.
Anna, Marcus, ihr seid nicht nur Leiterin und Leiter der Ausbildung „Beratung und Organisationsentwicklung“ bei denkmodell, ihr seid auch selbst Organisationsentwickler*innen. Wie sieht eure Arbeit aus?
Marcus: Da möchte ich direkt mit einer Abgrenzung starten: Wir sind keine Unternehmenberater*innen. Wir kommen nicht mit fertigen Lösungen für ein Problem. Das ist wichtig. Denn die gute Lösung kann nur von innen kommen, aus der Organisation. Wir helfen Unternehmen und Organisationen dabei, sie zu finden.
Anna: Genau, damit liegt unsere Aufgabe grad zu Beginn einer Beratung vor allem darin, die richtigen Fragen zu stellen. So machen wir implizites Wissen explizit, und die Menschen in den Organisationen bekommen neue Perspektiven auf ihr Problem. Damit helfen wir ihnen, den ersten Schritt zu tun – und sind danach als Begleiter*innen im weiteren Lösungsprozess dabei.
Mit welchen Problemen kommen Organisationen typischerweise auf euch zu?
Marcus: Das typische Problem ist in der Regel, dass sie nicht wissen, was das Problem ist. Nur dass es eins gibt: In der Organisation klemmt etwas, es läuft einfach nicht. Typischer Anlass sind oft Personalwechsel. Natürlich gibt es oft schon Problemhypothesen und auch Vorstellungen zur Lösung. Zum Beispiel: Das Problem liegt im Team, wir brauchen einen Team-Workshop!
Anna: Und da hören wir dann rein, fragen nach und gehen den Ursachen gemeinsam mit den Kund*innen auf den Grund. Und bereits diese Beschäftigung, das Gespräch, das offene – durchaus auch forsche – Fragen und Zuhören ist der erste Schritt zur Lösung. Ohne die Lösung vorzugeben!
Dann ist es ja eigentlich ganz einfach, Organisationsentwickler*in zu sein. Fragen kann schließlich jede*r. Wofür dann extra eine Ausbildung?
Anna: In der Ausbildung geht es erstmal vor allem darum zu verlernen: 1. muss man lernen, den Autopiloten auszuschalten, der immer direkt mit einer Lösung kommen will. Man muss offen fragen können und zuhören. 2. muss man lernen, nicht voreilig Schlüsse zu ziehen, sondern immer wieder neu hinzugucken. Und 3. muss man wissen, wann man seine eigene Erfahrung einbringt und wann man sich damit zurückhält. Das kann man nach etwa einem Jahr Ausbildung. In der zweiten Hälfte geht es bei uns dann sehr um die praktische Anwendung und Vertiefung in unterschiedlichen Feldern der Organisationsentwicklung – unter anderem in supervidierten Lernprojekten und einer Organisationsdiagnose bei Berliner Organisationen.
Marcus: Als ich selbst damals meine Ausbildung gemacht habe, hab ich gedacht: Super, jetzt bekomm ich eine Checkliste, die kann ich abhaken und dann weiß ich, was der Weg zur Lösung ist. Aber genau darum geht es nicht. Denn der Weg zur Lösung ist immer individuell. Deshalb lernt man als Erstes, eine kritische Distanz zu den eigenen Vorstellungen zu bekommen, wie eine gute Organisation auszusehen hat.
Was unterscheidet die Ausbildung bei denkmodell von anderen Anbietern?
Anna: Zum einen ist besonders, dass wir den systemischen mit dem Gestaltansatz verbinden. Wir richten einen ganzheitlichen Blick auf die Menschen in der Organisation und haben ein sehr vertieftes Verständnis von Veränderungsdynamiken und dem Umgang mit Widerstand. Zum anderen spiegeln uns Teilnehmer*innen immer wieder, wie gut das praxisnahe Lernen an der eigenen Person und an echten Fällen ist. Wir laden Kund*innen ein, arbeiten an Fallbeispielen – auch an Fällen der Teilnehmer*innen.
Marcus: Man kann Organisationsentwicklung sogar studieren. Aber dann ist das eine reine Beschäftigung im Kopf. Bei uns kommen die Arbeit an der eigenen Person und das Bewusstsein dafür hinzu. Haltung ist das Stichwort. Werkzeuge und Methoden kann man auch woanders lernen, bei uns lernt man: Was hilft wann und wie passt es wo am besten rein? Und dann gibt es Ausbildungen, da wird quasi die ganze Zeit reflektiert. Aber da stellt sich dann irgendwann die Frage: Was mach ich jetzt damit? Was brauche ich, um das auch für den Kunden praktisch nutzbar zu machen? Wir halten die Balance zwischen alldem.
An wen richtet sich die Ausbildung? Wer kann teilnehmen?
Anna: Ich würde sagen, ein gewisses Maß an (Lebens-)Erfahrung ist nötig, damit die Ausbildung wirksam sein kann. Das macht sich nicht unbedingt am Alter fest – aber das klassische Altersspektrum in der Ausbildung ist von Anfang 30 bis Ende 50. Von der Profession her kommen die Leute aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Da ist zum Beispiel die Fachberaterin, die merkt: Ich bekomm mein Wissen zwar vermittelt, aber die Umsetzung versackt immer wieder. Und daran was ändern möchte. Oder der Coach, der nicht „nur“ mit Einzelpersonen arbeiten möchte, sondern Teams und Organisationen beraten. Oft sind es auch Führungskräfte, die Veränderung vorantreiben wollen. Zunehmend fragen auch Personaler*innen an, weil innerhalb der Organisation Expertise aufgebaut werden soll, um Prozesse zu begleiten und zu verankern.
Marcus: Allen gemeinsam ist das Veränderungsanliegen. Die Führungskraft will zum Beispiel Wirkung entfalten und dabei an eigene Erfahrung anknüpfen, oder es gibt die Draufsattlerinnen und Umsteiger. In der Regel erweitern die Teilnehmenden durch die Ausbildung die eigene fachliche Expertise und entwickeln sich weiter.
Was muss man mitbringen, um die Ausbildung zu machen?
Anna: Durst, dazuzulernen! Aber nicht, indem man einfach nur noch ein Training mehr macht, sondern indem man tief eintaucht und gefordert wird. Grade die Gruppendynamik führt dazu, dass man noch mal ganz anders gespiegelt wird. Und Lust, mich mir selbst zu stellen, zu wachsen und mich gemeinsam mit der Gruppe auf den Lernprozess einzulassen.
Marcus: Ja, man muss bereit sein, eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen zu reflektieren und auch Einblicke zulassen. Sich öffnen, das ist eine Grundvoraussetzung.
Und was kann man „werden“, wenn man die Ausbildung gemacht hat?
Anna: Zum einen gibt es innerhalb von Unternehmen immer mehr OE-Abteilungen, zum Beispiel in der HR oder als Stabsstelle. Zum anderen gibt es bereits genannte Fachberater*innen, Coaches oder Führungskräfte, die neue Perspektiven entdecken und Dinge anders machen möchten.
Marcus: Und dann kann man natürlich auch als angestellte Beraterin oder angestellter Berater arbeiten. Oder aber frei, dann aber häufig angeschlossen an eine Beratung. Bei denkmodell gibt es all diese Arbeitsformen unter den Beratenden. Ausgründungen gibt es auch relativ häufig. Aus der letzten Ausbildung machen sich zwei Absolventinnen grad gemeinsam selbstständig – so etwas freut uns ungemein.
Zu guter Letzt die Frage an euch: Was macht euch besonders Spaß an der Ausbildung?
Anna: Es ist einfach ein totales Privileg, 20 Menschen zu begleiten und zu sehen, wie sie sich individuell und als Gruppe entwickeln, wie sich Reflektion und Bewusstsein verändern. Da machen sich Menschen auf den Weg, kommen aus ihrer Komfortzone, lassen festgefahrene Glaubenssätze gehen, entdecken völlig neue Perspektiven. Die Gruppe ist dafür auch enorm wichtig, der geschützte Raum. Wir bringen die Gruppe in Kontakt – laden ein, sich gegenseitig zu fordern. Und so einen Raum zu bilden, das ist wirklich schön.
Marcus: Die Teilnehmenden haben anfangs sehr die Probleme im Blick, die sie lösen möchten. Wir füttern dann über zwei Jahre Sachen rein, Methoden etc., die oft erstmal überfordern – und bieten damit neue Herangehensweisen an Dinge, von denen sie dachten, dass sie sie schon können. Zum Beispiel das richtige Fragen. Anfangs fühlt sich das Üben dieser Methoden für die Teilnehmenden noch sehr künstlich an. Und dann wird das immer natürlicher, selbstverständlicher. Und wird eine echte Hilfe für die Kunden.