Wirksam führen in unsicheren Zeiten: Coveys 7 Wege als Kompass
24. September 2025 von Julian-G. Mehler
Führung in Organisationen bedeutet heute mehr denn je, im Spannungsfeld zu agieren: Das Hamsterrad rotiert, die Erwartungen sind hoch, die Zukunft wirkt unsicher – und gleichzeitig braucht es gerade jetzt Veränderung und Gestaltungswillen. Viele Führungskräfte erleben sich in diesen Situationen als getrieben, statt als gestaltend.
Stephen R. Coveys „Die 7 Wege zur Effektivität“ ist in diesem Kontext aktueller denn je. Zugegeben: Das Buch kommt in typischer amerikanischer Manier daher – ein etwas überbordendes Storytelling, eine leichte Überdosis Begeisterung, manchmal auch recht langatmig. Aber hinter dieser Verpackung steckt eine klare und überzeugende Botschaft. Covey liefert keine schnellen Tricks, sondern Prinzipien, die helfen, Wirksamkeit zurückzugewinnen. Er zeigt, wie es gelingt, Klarheit über das Wesentliche zu schaffen, Verantwortung zu übernehmen, Prioritäten zu setzen und Zusammenarbeit so zu gestalten, dass echte Wirkung entsteht. Gerade in herausfordernden Zeiten bieten seine 7 Wege einen Kompass für Selbstführung für Führungskräfte, die Organisationen nicht nur managen, sondern wirklich voranbringen wollen.
Aufeinander aufbauend, beschreibt er 7 Wege, die es braucht, um sich selbst (und andere) effektiv und wirksam zu führen:
1. Proaktiv sein – Verantwortung übernehmen
Führungskräfte sind ständig mit äußeren Zwängen konfrontiert: knappe Ressourcen, politische Rahmenbedingungen, Druck von Kund*innen oder Stakeholdern. Proaktivität bedeutet, die eigene Handlungsfähigkeit zu behaupten – auch wenn die Umstände schwierig sind. Ins Gestalten gehen.
Das heißt: Fokus auf den eigenen Einflussbereich[1]. Statt Energie in Schuldzuweisungen oder äußere Hindernisse zu stecken, fragen wir: „Was können wir hier und jetzt gestalten?“ Man orientiert sich so an Lösungen, nicht an Problemen. Proaktive Menschen versuchen den Einfluss- und Gestaltungsbereich möglichst stark auszuweiten.
Frankl wird häufig mit den Worten zitiert: Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Freiheit, zu wählen. Wer proaktiv handelt, entscheidet bewusster, anstatt den inneren Autopiloten übernehmen zu lassen. Das bedeutet auch: Verantwortung zu übernehmen, anstatt Schuld zu verteilen. Ein proaktiver Mensch frage nicht: „Warum passiert mir das?“ – sondern: „Was kann ich jetzt tun?“
2. Schon am Anfang das Ende im Sinn haben – Visionen klären
Organisationen verlieren sich oft in Projekten, Prozessen und Prioritäten. Covey erinnert daran: Erst die Richtung klären, dann die Schritte gehen.
Für Führung bedeutet das: eine klare Vision und Wertebasis formulieren, die als Orientierung dienen. Teams brauchen Antworten auf die Frage: „Wozu machen wir das?“ Wenn dieses „Ende“ klar ist, lassen sich operative Entscheidungen leichter und konsistenter treffen. In anderen Kontexten spricht man hier auch „Purpose“.
3. Das Wichtigste zuerst tun – Prioritäten im Alltag
Führungskräfte kennen das Gefühl, den ganzen Tag beschäftigt zu sein und dennoch nichts Wesentliches bewegt zu haben. Coveys Quadrantenmodell zeigt: Entscheidend ist nicht das Dringende, sondern das Wichtige, das noch nicht drängt – z. B. Personalentwicklung, Strategiediskussionen, Beziehungspflege.
Covey unterscheidet hier vier Quadranten:
- Wichtig & dringend (Krisen, Deadlines, IT-Ausfall, Kund*innen-Beschwerde)
- Wichtig & nicht dringend (Beziehungen pflegen, Feedbackgespräche, Weiterbildung, Gesundheitsvorsorge)
- Nicht wichtig & dringend (Unterbrechungen durch Notifications, viele Emails, manche Meetings, viele Anrufe)
- Nicht wichtig & nicht dringend (häufige Beispiele: Ablenkungen wie Social Media, so mancher Tratsch, endlose Abstimmungsschleifen über Details, Zeitfresser wie Nice-to-have Präsentationen)
Der Schlüssel liegt im zweiten Quadranten: die wichtigen, aber nicht dringenden Dinge bewusst einzuplanen. Wer hier investiert, baut langfristig Qualität, Stabilität und Resilienz auf – und reduziert damit auch die Zahl echter Krisen. Führungsaufgabe ist es also, „das Wichtigste zuerst zu tun“, bewusst Prioritäten zu setzen, auch wenn kurzfristig Druck entsteht.
Organisationen, die regelmäßig in diesen Quadranten investieren, beugen Krisen vor. Ein Führungsteam, das sich bewusst Zeit für Reflexion und gemeinsame Planung nimmt, arbeitet wirksamer als eines, das nur im Feuerlöschen bzw. den anderen Quadranten steckt.
4. Win-Win denken – nachhaltige Zusammenarbeit
Führung wird oft noch mit Durchsetzungsstärke verbunden – auch gegen sämtliche Widerstände. Nicht selten gibt es am Ende Gewinner und Verlierer einer Entscheidung. „Abteilung A gewinnt, Abteilung B verliert“. Ich oder du. Covey plädiert für eine andere Haltung: Kooperation statt Konkurrenz. Win-Win bedeutet, sich zu Bemühen, Lösungen zu finden, die beiden Seiten nutzen und damit tragfähiger sind. Am Ende ist es ein Kulturmerkmal: Vertrauen statt Nullsummenspiel.
- Das setzt aus seiner Sicht zwei Dinge voraus: Charakterstärke – ich trete für meine eigenen Interessen klar ein. Respekt – ich sehe die Interessen der anderen als gleichwertig an.
Win-Win ist nicht immer die einfachste Lösung, aber die nachhaltigste. In Beziehungen – ob beruflich oder privat – schafft sie Vertrauen und Loyalität. Win-Lose oder Lose-Win mag kurzfristig funktionieren, führt aber langfristig zu Konflikten, Frustration und Distanzierung. Man verliert quasi langfristig den Kit der Organisation.
5. Erst verstehen, dann verstanden werden – Kommunikation als Führungsinstrument
Kommunikation ist der Schlüssel zu Beziehungen – und der größte Stolperstein. Viele Menschen hören nicht zu, um zu verstehen, sondern um zu antworten. Sie warten auf ihre Gelegenheit, den eigenen Standpunkt einzubringen und gesehen zu werden. Führungskräfte, die zuerst verstehen wollen, bauen Vertrauen auf und gewinnen Zugang zu den tatsächlichen Bedürfnissen ihrer Teams.
Das wirkt besonders in Veränderungsprozessen: Wer Mitarbeitende ernsthaft anhört, kann ihre Sorgen aufnehmen und seine eigene Botschaft so formulieren, dass sie anschlussfähig wird. So entsteht Dialog statt Widerstand. Das hat zwei Effekte: Menschen fühlen sich ernst genommen und öffnen sich eher. Wer zuerst versteht, kann seine eigene Botschaft so formulieren, dass sie verdaulich ankommt.
In der Praxis heißt das: Fragen stellen, paraphrasieren, Gefühle spiegeln – bevor man seine eigene Sicht darlegt.[2] So entsteht eine Basis aus Vertrauen und Respekt. Erst dann ist es sinnvoll, den eigenen Standpunkt einzubringen.
6. Synergien schaffen – Vielfalt produktiv nutzen
In Organisationen treffen unterschiedliche Expertisen, Perspektiven und Persönlichkeiten aufeinander. Oft wird das als Reibung erlebt – Covey sieht darin eine Quelle von Innovation.
Synergie heißt: Differenzen nicht glätten, sondern bewusst nutzen. Führungskräfte schaffen dafür Räume, in denen Unterschiede ausgesprochen werden dürfen und daraus neue Lösungen entstehen. Ein diverses Team, das gut zusammenarbeitet, ist kreativer und resilienter als eine homogene Gruppe. Covey beschreibt diesen Weg als höchste Form von Zusammenarbeit. Anstatt Unterschiede als Problem zu sehen, werden sie als Ressource genutzt. Dafür braucht es drei Zutaten:
- Wertschätzung von Vielfalt – andere Perspektiven nicht störend wahrnehmen, sondern bereichernd.
- Offene Kommunikation – ehrlichen Austausch zulassen, auch über Unterschiede.
- Kooperation statt Konkurrenz – gemeinsames Ziel in den Mittelpunkt stellen, vor Ego-Interessen.
7. Die Säge schärfen – Erneuerung auf allen Ebenen
Der letzte Weg ist das Prinzip der Selbsterneuerung. Covey vergleicht es mit einer Säge, die stumpf geworden ist: Wer nur sägt, aber nie Zeit zum Schärfen nimmt, arbeitet immer härter, aber zunehmend weniger effektiv. Für Führungskräfte heißt das auch: Vorbild sein. Wer selbst auf Balance, Lernen und persönliche Entwicklung achtet, signalisiert dem Team, dass es nicht nur um Output, sondern auch um langfristige Leistungsfähigkeit geht.
- Er fokussiert dabei auf die vier Dimensionen, in die man regelmäßig investieren sollte:
- Körperlich – Bewegung, gesunde Ernährung, Erholung.
- Geistig – Lernen, Lesen, kreative Anregung.
- Sozial-emotional – Beziehungen pflegen, Vertrauen aufbauen.
- Spirituell – Sinn, Werte, innere Ausrichtung.
Wer die Säge schärft, erhält seine Energie, Balance und Leistungsfähigkeit. Das ist kein Luxus, sondern Voraussetzung für langfristige Wirksamkeit. Ohne diese Erneuerung drohen Burnout, Erschöpfung oder Einseitigkeit.
Fazit: Effektivität als Anspruch von Selbstführung
Diese Liste an Ebenen hört sich für viele sicherlich nicht ganz überraschend an. Ich fand die Klarheit und Einfachheit der Punkte sehr ansprechend – sowie die aufeinander aufbauende Logik. Coveys betrachtet dabei die 7 Wege nicht als einmaliges Training oder eine Checkliste, sondern alles immer wieder zu kalibrierenden Kompass für eine nachhaltige Selbstführung. Sie erinnern uns daran, dass echte Wirksamkeit nicht darin liegt, mehr Aufgaben in weniger Zeit zu erledigen, sondern die richtigen Dinge bewusst und verantwortungsvoll zu tun. Und dabei auch ambitioniert zu bleiben.
Gerade in Organisationen, die von Wandel und Unsicherheit geprägt sind, sind diese Prinzipien für die Schüsselgestalter*innen der Organisationen gefragter denn je.
Wenn Sie Ihre Führungskompetenzen weiter ausbauen möchten, darf ich Ihnen unser Intensiv-Training zur Führungskräfteentwicklung mit Trainer, Coach & Berater Philipp Scharff sehr empfehlen.
Ihr Julian‑G. Mehler
Partner, Teamleiter & Senior-Berater bei denkmodell
[1] Hier ein Verweis auf das von uns häufig genutzte Modell „Circle of Concern and Infuence“, das von Covey bekannt gemacht wurde, mehr in: Covey, S. R. (1989÷2004). The 7 Habits of Highly Effective People: Powerful Lessons in Personal Change. New York: Free Press.
[2] Das sind gleichzeitig die Herzstücke unseres Kommunikationstrainings.